1806
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das ganze Jahr hindurch beurlaubt. Viele waren auch Familienväter, die mit Zittern
und Zagen in den Krieg zogen. Der Dienst lief größtenteils auf Tändelei und
Spielerei hinaus. Alle 108 Griffe am Gewehr mußten mit der größten Schnellig-
keit ausgeführt werden, und auf gerade Haltung beim Paradeschritt wurde das Haupt-
gewicht gelegt. Während Napoleon seine Truppen in offenen Schützenschwärmen
kämpfen ließ, gingen die Preußen noch immer in geschlossenen Gliedern ins Feuer.
Die Ausrüstung war sehr mangelhaft. Das Gewehr war — damit es sich besser senk-
recht tragen ließ — mit einem geraden Schafte versehen, wodurch es an Brauchbar-
keit verlor. Der blank polierte Lauf blendete und erschwerte das Zielen, das Schloß
war groß, aber versagte leicht. Die Uniform war eng und unpraktisch. Noch immer
band der Soldat auf den kurzgeschorenen Kopf einen armlangen Zopf, noch immer
trug er die engen Gamaschen, die das Bein einzwängten und das Marschieren er-
schwerten. Die Bewegung der Armee ward behindert durch einen endlosen Troß
von Packpferden und Packwagen, die für die Offiziere Zelte, Feldtische, Feldstühle,
Feldbetten, Koffer, Kochgeschirre usw. fortzuschaffen hatten.
3. Jena und Auerstädt. 1806. Napoleon griff die Preußen und Sachsen
unter Hohenlohe am 14. Oktober bei Jena an. Schon in der Nacht vorher hatte
er den Landgrafenberg, der das Saaletal beherrschte, mit zahlreichen Geschützen
besetzt. Am Morgen stand sein Heer in Schlachtordnung, als die Gegner noch sorglos
schliefen. Die neue Kampfesweise unter Napoleons einheitlicher Leitung trug den
Sieg davon. Vollständig aufgelöst, floh das preußische Heer nach Weimar. Am
gleichen Tage wurde der Herzog von Braunschweig bei Auerstädt geschlagen.
Auch hier fehlte bei den Preußen die planmäßige Führung. Gleich zu Anfang der
Schlacht verlor der Herzog durch einen Schuß das Augenlicht. Das vergrößerte
die Verwirrung. Die Tapferkeit der einzelnen Haufen konnte die Niederlage nicht
abwenden. Der König und die Königin selbst mußten eilen, um nicht in Gefangen-
schaft zu geraten. Der Herzog von Braunschweig wurde nach seiner Hauptstadt
gebracht. Von hier aus bat er Napoleon um Gnade. Doch dieser ließ ihm sagen,
er werde ihn, wenn er ihn fange, als Räuber behandeln. Der Todkranke flüchtete
nun weiter und starb bald darauf zu Ottensen bei Hamburg.
4. Verrat und Feigheit. Nach dieser furchtbaren Niederlage fehlte es den
meisten Feldherren und Festungskommandanten an Mut, den Franzosen Widerstand
zu leisten. Die wohlbesetzten Festungen Erfurt, Spandau, Stettin, Küstrin,
Hameln und Magdeburg ergaben sich, ohne einen Schuß zu tun. Es war schmach-
voll! Lachend sagte Napoleon zu einem seiner Generale: „Da Ihre Husaren Festungen
erobern, so kann ich meine Geschütze einschmelzen lassen.“ Al sich französische Armeen
der Hauptstadt näherten, wollten sich die Bewohner Berlins bewaffnen und Wider-
stand leisten. Aber der Stadtkommandant dämpfte bald ihren Mut mit dem Be-
fehle: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.“ So konnte denn Napoleon schon am 27.
Oktober ungehindert in Berlin einziehen.
5. Treue. a) Befehlshaber von Festungen. In dieser trüben Zeit
fehlte es aber auch nicht an Männern, die ihrem Vaterlande treu blieben und sich
vor dem gewaltigen Sieger nicht beugten. Als der Kommandant von Graudenz
aufgefordert wurde, sich zu ergeben, weil es keinen König von Preußen mehr gebe,
ließ er sagen: „Nun, so gibt es doch noch einen König von Graudenz.“ Der Kom-
mandant von Pillau versammelte alle seine Offiziere, stellte einen Sarg in ihre