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3. Übergabe. In der Nacht fanden die Verhandlungen wegen der Übergabe
statt. 84000 Mann gerieten in Gefangenschaft. Viele Waffen und Pferde fielen
dem Sieger in die Hände. Napoleon hatte früh am Morgen des 2. September
die Festung verlassen, um von König Wilhelm mildere Bedingungen für das Heer
zu erlangen. Eine Unterredung mit Bismarck führte nicht zum Ziel. König Wil-
helm empfing ihn erst am Nachmittage, als alle Verhandlungen abgeschlossen waren.
Großmütig wies er dem Gefangenen das Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel als vor-
läufigen Aufenthaltsort an. Einige Jahre später ist Napoleon in England gestorben.
„Welch eine, Wendung durch Gottes Fügung!“ telegraphierte der König an seine Ge-
mahlin. Unbeschreiblicher Jubel erfüllte Deutschland, Staunen und Bewunderung ganz Europa,
als man die Kunde von der Gefangennahme Napoleons und seines ganzen Heeres vernahm.
(Ged.: Des deutschen Knaben Tischgebet.) Beim Festmahle am folgenden Tage dankte König
Wilhelm seinen Mitarbeitern mit den Worten: „Sie, Kriegsminister von Roon, haben unser
Schwert geschärft; Sie, General von Moltke, haben es geleitet, und Sie, Graf von Bismarck,
haben seit Jahren durch Leitung der Politik Preußen auf seinen jetzigen Höhepunkt gebracht!“
4. In Paris wurde der Kaiser Napoleon sofort von der Volksvertretung abgesetzt
und Frankreich für eine Republik erklärt. Die neugebildete Regierung, an deren
Spitze Jules Favre und Gambetta standen, wollten wohl den Frieden, aber Deutsch-
land sollte keinen Fußbreit Land, keine Festung haben. Damit aber konnten die
Deutschen nicht zufrieden sein. Der Krieg mußte mit der Republik fortgeführt werden.
d) Vor Paris.
1. Umzingelung. Von Sedan aus eilte der Kronprinz von Preußen mit seiner
Armee sofort nach Paris. Die Stadt selbst ist mit einer fast 40 km langen Ring-
mauer umgeben und außerdem durch viele starke Außenwerke geschützt. Schon am
19. September hatten 300000 Deutsche in einem Umkreise von 75 km die Riesen-
stadt umzingelt. An allen wichtigen Punkten wurden Schanzen aufgeworfen und in
endlosen Linien doppelte, ja dreifache Schützengräben gezogen. Die Gartenmauern
wurden mit Schießscharten versehen, und wo es sonst kein Deckungsmittel gab,
errichtete man aus Fässern, Balken, Hundehütten, Matratzen usw. Barrikaden. Durch
fortwährendes Feuern suchten die Franzosen alle diese Arbeiten zu stören; und wo
nur eine Helmspitze, eine Lanze auftauchte, wo in der Dunkelheit ein Fenster er-
leuchtet war oder ein Soldat sich die Zigarre anzündete, dahin sandten sie sofort ihre
Granaten. Die Deutschen aber machten sich über diese Pulververschwendung lustig,
steckten Strohmänner in alte Uniformen, verfertigten Geschützmündungen aus Pappe
und lachten sich halbtot, wenn die Franzosen wie wütend auf Pappe und Stroh
losknallten: sie sparten ihr Pulver für eine bessere Gelegenheit.
2. Im Ouartier. Die Bewohner der umliegenden Ortschaften hatten sich
beim Herannahen der Deutschen nach Paris geflüchtet. Haus und Hof standen
leer, und außer Hund oder Katze war oft kein lebendes Wesen zurückgeblieben. Die
Soldaten aber machten es sich in den verlassenen Häusern so bequem wie möglich.
Hier und da wohnten die Mannschaften in prächtigen, aber verlassenen Schlössern.
Da blitzen die Wände von Spiegeln; der Fußboden ist mit Teppichen belegt, und
auf den weichen Sofas ruht es sich recht behaglich. Die Gärten bieten Obst, Ge-
müse und Kartoffeln, in den Kellern sind große Weinvorräte; Brot und Wein wird
reichlich geliefert, und an „Liebeszigarren“ ist auch kein Mangel. Das Leben wäre
hier ganz erträglich gewesen, wenn nur nicht fortwährend der Kanonendonner da-
zwischen gebrummt und der Vorpostendienst die behagliche Ruhe gestört hätte.
2.
Sept.