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ersten Stock des Georgenbaues, während die Königin die darüber
im zweiten Stock gelegene Wohnung inne hat. Sie ist im Stile
Louis XVI. fürstlich eingerichtet; es fehlt ihr aber die Sonne,
eine große Entbehrung für die Gesundheit und das Wohlbe-
finden. Die Königin ist im Vergleich mit Strehlen hier zwischen
Mauern eingeengt; es fehlt die Möglichkeit, rasch in die frische
Luft zu gelangen. Das Schloß liegt ohne Garten im Mittel-
punkte der Stadt, im Lärm des Verkehrs. Um ins Freie zu
kommen, bedarf es des Hinabsteigens vieler Stufen und einer
längeren Wagenfahrt.
Das Quartier der Königin enthält ein Möbel, welches wohl
in keinem anderen Schlosse anzutreffen sein dürfte. In einer
Fensternische steht ein einfach lackierter Schrank, der nicht zu der
übrigen Einrichtung paßt. Für seinen Zweck diene folgende Er-
klärung. Unter den Armen, deren die Königin sich persönlich
annimmt, sind auch Rekonvalescenten, welche zwar keine Arznei-
mittel mehr, wohl aber stärkende, nahrhafte Kost gebrauchen.
Schickt man diesen Leuten Essen und Wein in ihre Wohnungen,
so nimmt gewöhnlich die ganze Familie teil an dem Gespendeten,
und die Genesenden kommen zu kurz. Die Königin hat es nun
so eingerichtet, daß sie ihr und des Königs Gabelfrühstück bei
sich anrichten läßt und für diese Mahlzeit immer ein kräftiges
Fleischgericht, gewöhnlich einen Braten mehr bestellt, als ihr Be-
darf ist. Diese Speise wandert in den Eisschrank in ihrem
Zimmer, während der gewöhnliche Abhub der Dienerschaft ge-
hört. Eine Flasche Wein läßt sich auch leicht beschaffen. Dann
werden die Nahrungsbedürftigen in ihre Kammer bestellt und
mit einem guten Stück Braten und einem Glase Wein an Ort