— 105 —
den Gewölben sind Waren aus allen Gegenden der Erde aufgestapelt,
und aus den Spiegelscheiben blicken kostbare Kleiderstoffe, Schmuck-
sachen und Rauchwaren (Pelze) verlockend hervor. Welch Gewühl von
Handelsdienern, Verkäuferinnen, Handelsherren und Markthelfern,
wenn die Mittags= oder Abendglocke schlägt und sich die Läden der
Kauflente schließen! Wie steigert sich aber der Kaufverkehr, wenn
zu Neujahr, Ostern oder Michaelis, zur Erinnerung an die frühere
kirchliche Feier, die Meßglocke erklingt! Da führen die dampfenden
Züge Waren aus allen Gegenden Deutschlands, ja aus den Ländern
Asiens und Amerikas herbei! Da füllen sich die Höfe mit Leder,
die Gewölbe mit Tuchen, die Kisten mit Pelzen, die Kästen mit
Seide! Der einheimische Kaufmann tritt dem fremden Fabrikanten
sein Gewölbe ab, und manche Familie beschränkt sich auf Rüche und
Kammer, um „Meßfremde“ ins Logis zu nehmen. Die Hausflur
wird zum Kanufladen und das Gehöft ein Marktplatz. Nun strömen
die Geschäftsleute herbei, ihre Einkäufe oder Bestellungen zu machen.
Der Türke und Grieche mit gebräuntem Gesicht und roter Mütze
wandeln suchend durch die Straßen, der polnische Jude in langem
Seidenrocke drängt sich handelnd durch die Menge. Neben diesem
„Großverkehr“, der sich in Wirklichkeit auf die erste Woche beschränkt,
geht ein Kleinverkauf her, der ein Jahrmarkt im größeren Stile ist.
Königs= und Augustusplatz bedecken sich mit Buden, in denen Glas-
waren aus Böhmen, Weißwaren aus dem Vogtlande, Kleider und
Schuhe aus benachbarten Städten feilgeboten werden. Auf dem
Roßplatze aber laden Schankel und Karussell, Singspielhallen und
Zirkus zum Vergnügen ein. Besonders an schönen Sonntagen füllen
sich die Budenreihen mit Käufern der umliegenden Dörfer, und die
Bahnzüge bringen Gäste ans dem angrenzenden Thüringen und
Preußen. So wogt der Verkehr durch die Straßen, bis die Zahl-
woche endlich die Messe schließt. Mag auch durch den ver-
änderten Verkehr die Leipziger Messe ihre frühere Be-
deutung etwas verloren haben, sie wird doch auch in
Zukunft dazu dienen, einen persönlichen Verkehr des
Kaufmanns und der Kundschaft und einen vergleichenden
Einblick in die Warenlager verschiedener Handelshäuser,
besonders durch die glänzende Ansstellung von Waren-
mustern in dem städtischen Kaufhanse, zu gewähren.
4. Einen besonderen Teil des Meßgeschäfts bildete früher auch
der Handel mit Büchern, die hier zum ersten Male ausgelegt
wurden. Gegenwärtig wird der Buchhandel nicht bloß auf die vier-
wöchentliche Meßzeit beschränkt, sondern schwunghaft auch außer der
selben betrieben. Geschäftig wird in den Druckereien gearbeitet, um
das geschriebene Wort in das gedruckte umzusetzen. Die Druckbogen
heftet dann die Maschine des Buchbinders zu handlichen Bänden
zusammen. In weiten Gewölben stellt sie der Buchhändler auf und
verschickt als Verleger die einzelnen Exemplare an die Sortiments-
buchhandlungen kleinerer Orte. So ist ener Landesgesangbuch in