114 V. Geschichte der Preußischen Verfassung.
Nachdem am 2. Januar 1861 König Friedrich Wilhelm IV.
gestorben war, bestieg sein Bruder, welcher infolge der Er—
krankung des Königs bereits seit 1857 (zunächst als Stellvertreter
des Königs und seit dem 7. Oktober 1858 als Regent) die
oberste Leitung der Staatsgeschäfte übernommen hatte, unter
dem Namen Wilhelm 1. den Thron. Die vom Könige beab-
sichtigte Neugestaltuug des Heeres stieß auf den heftigsten Wider-
stand der Zweiten Kammer. Diese verwarf alljährlich den Staats-
haushalt, in welchem die Regierung die Mehrausgaben für
die Vermehrung des stehenden Heeres eingestellt hatte. Infolge-
dessen erfolgte in den Jahren 1862 bis 1866 (der Zeit des sog.
Verfassungskonfliktes) wiederholt eine Auflösung der Zweiten
Kammer. Im Jahre 1866 machte der schnelle und glückliche
Verlauf des Krieges gegen Osterreich diesen unerquicklichen
Zuständen ein Ende und führte rasch zu einem vollständigen
Umschwung der öffentlichen Meinung. Die Zweite Kammer
erteilte den Ministern die nachgesuchte „Indemnität“" (d. h.
Freisprechung von der Verantwortung für die durch außer-
ordentliche Verhältnisse bedingte Abweichung von der Ver-
fassung).
Gleichzeitig genehmigten die beiden Häuser des Landtages
die Vereinigung des Königreiches Hannover, des Kurfürsten-
tums Hessen, des Herzogtums Nassan, des Landgrafentums
Homburg und der Freien Stadt Frankfurt a. M. mit dem
Preußischen Staate. Ebenso wurde Schleswig-Holstein in Preußen
einverleibt. Preußen erhielt durch diese neuen Provinzen einen Zu-
wachs von 73210 qkm mit 5 600000 Einwohnern und
wurde nunmehr im wesentlichen ein zusammenhängendes Gebiet.
Zugleich wurde die Regierung bis zum 1. Oktober 1867,
in welchem Zeitpunkte die Preußische Verfassung in den neuen
Landesteilen eingeführt werden sollte, selbständig vorzugehen
ermächtigt, um den Übergang der neu erworbenen Länder in
die neuen Zustände zu erleichtern. Dabei gelangte im allgemeinen