Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

 
162           Preußen und der norddeutsche Bund. 
feldherrn die Befugniß ertheilt, im Falle des Bedürfnisses aus den 
Reservemannschaften „nothwendige Verstärkungen“ zu den Fahnen 
heranzuziehen. Die Linke (Amendement Hoverbeck) will diese Be- 
fugniß auf den Fall der verfügten „Mobilmachung“ beschränken; 
aus den mittleren Fractionen werden mildere Beschränkungen als 
„Kriegsbereitschaft“ oder „entstehender Krieg“" oder „außerordentliche 
Umstände“ versucht. Graf Bismarck und die Generale Moltke und 
Roon bekämpfen die Vorschläge als Ausflüsse unbegründeten Miß- 
trauens. Schließlich wird über den Antrag Hoverbeck namentliche 
Abstimmung verlangt und derselbe mit 165 gegen 81 Stimmen ab- 
gelehnt, ebenso alle anderen Amendements. 
18. Oct. (Preußen). Der geschäftsführende Ausschuß der nat. liberalen 
 
 
Partei erläßt ein Programm als Wahlaufruf für die bevorstehenden 
Landtagswahlen: 
„. .. Von den jetzt bevorstehenden Wahlen wird es abhängen, ob das 
Werk der Assimilirung zwischen den alten und neuen Provinzen zur Ehre 
Deutschlands gelingen oder zum Frohlocken der Reaction mißlingen wird; 
ob wir freisinnige Einrichtungen aus den neuen Provinzen herübernehmen 
oder sie durch die Reste des altpreußischen Feudalismus und Bureaukratis= 
mus uns entfremden werden. Auch für die richtige Auseinandersetzung zwischen 
Bundes= und Landes-Gesetzgebung, für die Förderung des Reichstages als 
Organs der deutschen Einheit ist der künftige Landtag von entscheidendem 
Gewichte. Darum ist es nothwendig, denselben Männern, welche die Bundes- 
verfassung zur Lebens= und Entwicklungsfähigkeit und sogar schon zu weit 
über die Grenzen reichender Popularität ausgebildet haben, auch die damit 
zusammenhangende Regelung der preußischen Verfassungs-Verhältnisse anzu- 
vertrauen; sonst könnte leicht durch übel angebrachte Competenz-Streitigkeiten 
das ganze Werk der letzten beiden Jahre wieder in Frage gestellt werden. 
Die Zukunft des Bundesstaates muß nach allen Seiten gesichert sein; dazu 
ist aber auch erforderlich, daß Deutschland von Preußen die inneren Reformen, 
welche den übrigen Staaten zum Muster dienen, erwarten könne. Denn 
Preußens Geschicke sind enger als jemals mit den Lebensbedingungen des 
deutschen Volksgeistes verknüpft; sie werden sich um so schleuniger und glor- 
reicher erfüllen, je weiter und breiter die Betheiligung aller Klassen heran- 
gezogen wird. Das beschränkte Klassen-Wahlsystem hat sich überlebt, und 
der nächste Landtag wird zu prüfen haben, in welcher Weise und unter was 
für Voraussetzungen der Uebergang zum allgemeinen Stimmrechte zu bereiten 
ist. Allein das allgemeine Stimmrecht kann keine vereinzelte Einrichtung 
bleiben: es bedarf einer Reihe auf Selbstverwaltung und Volksbildung ge- 
richteter Gesetze, ohne welche der Staat, der sich auf das allgemeine Stimm- 
recht stützt, den gefährlichsten Schwankungen Preis gegeben würde. Hieher 
rechnen wir vor allen Dingen die Reform unserer völlig veralteten Kreis- 
ordnung und der ländlichen Polizeiverwaltung. die gründliche Verbesserung 
der Gemeindeordnung und des Volksschulwesens " # 
(Preußen). König Georg ratifizirt den mit Preußen abge- 
schlossenen Abfindungsvertrag vom 29. Sept. 
19. „ (Norddeutscher Bund). Reichstag: Berathung eines Post- 
gesetzes. Zu einer lebhaften Controverse zwischen den Bundescom- 
missären und der liberalen Opposition gibt ein Zusatzantrag von 
Becker und Wiggers zu § 575 Anlaß:
	        
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