Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

                Die süddeutschen Staaten.                       221 
dernen Staaten, wo das Ruder an die politischen Parteien ausgehändigt 
worden ist, das jus divinum des Episcopates wenig Berücksichtigung mehr 
findet. Man pflegt die Verhältnisse gegenwärtig nur von rein menschlichem 
Standpunkte aus zu beurtheilen, und da die Beurtheilenden freiwillige oder 
unfreiwillige Anhänger der Parteien sind, so pflegen sie nach dem Maßstabe 
der Parteien, nach Zahl und Macht, zu beurtheilen. Diesen faktischen 
Verhältnissen muß der Clerus der Gegenwart sich anbequemen, wenn er im 
Treiben der Parteien nicht untergehen will. So lange ein Parteiministerium 
den Clerus für eine politisch träge Masse anzusehen berechtigt ist, wird es 
wenig Anstand nehmen, ihn als solche zu behandeln — leider trotz der 
Forderungen des Episcopates; sobald aber Leben in diese Masse kommt 
und sie sich in Tausende von Individuen auseinander gliedert, die 
einhellig auf dem Boden des Gesetzes ihre Rechte fordern; dann wird es 
ansangen, zu „zählen"“, es wird sich ihm das Gewicht der Einheiten dieser 
Masse im socialen Organismus ausdrängen und es wird einen richtigen 
Begriff erhalten von der „Gehörigkeit" des Maßes des Einflusses des 
Clerus." 
30. Sept. (Bayern). Wiederzusammentritt des Landtags. Die Re- 
gierung legt demselben das Budget für 1868 vor und stellt eine 
Erhöhung der Steuern um 50¾ in Aussicht. 
„ „ (Baden). Die II. Kammer nimmt mit allen gegen 1 Stimme 
den ihr von der Regierung vorgelegten Gesetzesentwurf, betr. die 
nächste Aushebung zum Kriegsdienste, an (die demnach schon am 
1. Nov. 1867 statt am 1. April 1868 stattfinden soll und zwar 
bereits ohne Stellvertretung nach dem Princip der allg. Wehrpflicht). 
1. Oct. (Württemberg). Das Königspaar stattet dem König von 
Preußen auf der Insel Mainau einen Besuch ab. 
3. „ (Baden). Die II. Kammer genehmigt einstimmig die Re- 
gierungsvorlage, die Abänderung der Verfassung betr., durch welche 
der bisherige Vermögenscensus für die passive Wählbarkeit eines 
Abgeordneten beseitigt und die Redefreiheit der Abgeordneten besser 
geschützt werden soll, indem bestimmt wird: 
„Kein Kammermitglied kann wegen seiner Abstimmungen oder wegen 
seiner Aeußerungen bei Kammer-, Abtheilungs= und Commissionsverhand- 
lungen anders als nach Maßgabe der Geschäftsordnung der Kammer zur 
Verantwortung gezogen werden.“ 
Dagegen widersetzt sich die Regierung dem mehrseitigen Ver- 
langen, daß bei den Wahlmännerwahlen die geheime Abstimmung 
statt der bestehenden offenen eingeführt werde, indem der Minister 
des Innern Jolly erklärt, 
„es sei nothwendig, das Wahlsystem wesentlich zu erweitern und abzu- 
ändern; dies werde auch in nicht ferner Zukunft geschehen, indem man zu 
dem directen und geheimen Stimmrecht, wie es die Verfassung des nord- 
deutschen Bundes angenommen, werde fortschreiten müssen; die geeignete Zeit 
hiezu trete ein, wenn wir entweder in directer oder in irgend einer anderen 
Form mit den norddeutschen Brüdern wieder in eine engere staatsrechtliche 
Verbindung gekommen seien.“ 
„ „ (Baden). Eine Regierungsverordnung erklärt das erzbischöf-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.