Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

272 
Ceserresch. 
aber auch überzeugt, daß weder ein Gesetz noch ein Vertrag für alle Zukunst 
Rechte unwiderruflich aufgeben könne, welche nach der heutigen Entwicklung 
des staatlichen Lebens zu den wesentlichen Hoheitsrechten des Staats gehören. 
Wir halten es für unmöglich, daß der Staat sich seiner Nechte in Bezug 
auf die Ausübung der Justizgewalt und auf die Gesetzgebung in Sachen 
des Unterrichts zu Gunsten einer von ihm völlig unabhängigen Macht habe 
entäußern oder sich des Rechts begeben können, das natürlichste aller politischen 
Rechte, das der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetze, ohne Rücksicht 
auf die Confession, welcher sie angehören, im vollsten Umfange verwirklichen 
zu dürfen. Vor Allem wichtig und dringend ist die Finanzlage. Niemand 
vermag sich mehr der Ueberzeugung zu verschließen, daß die finanziellen Ca- 
lamitäten den tiefstgehenden Einfluß üben auf alle Verhältnisse des Staats- 
lebens wie auf die Wohlfahrt aller einzelnen Staatsbürger. Schon beim 
Beginne der vorigen Session sprach das Abgeordnetenhaus Ew. Maj. frei- 
müthig seine Ueberzeugung aus, daß die Finanzlage des Reichs eine sehr 
ernste sei, daß die stete Benützung des öffentlichen Credits auch in Jahren 
des Friedens zu schweren Bedrängnissen führen müsse und endlich zu unheil- 
vollen Krisen führen könne. Seit jener Zeit hat sich der Ernst der Finanz- 
lage in wahrhast bedenklicher Weise gesteigert. Es fand eine fortwährende 
Vermehrung der Staatsschuld statt, und haben dadurch die für Verzinsung 
und vertragsmäßige Tilgung der Staatsschuld erforderlichen Summen an sich 
und insbesondere im Verhältniß zu dem wesentlich verminderten Staatsein- 
kommen, welches für die nächste Zeit eine Steigerung nicht hoffen läßt, 
außerordentliche Dimensionen angenommen. Die beständige Benützung des 
der Erschöpfung nahen Staatscredits, wozu noch der völlige Mangel aller 
Controle durch eine Volksvertretung kam, bewirkte, daß die Aufbringung der 
erforderlich gewordenen Anlehen nur noch zu den drückendsten Bedingungen 
möglich war. So mußte denn zu dem bedenklichsten aller Mittel der Geld- 
beschaffung, zur ausgedehnten Hinausgabe von Staatspapiergeld, geschritten 
werden. Dadurch wurde die Consolidirung der Landeswährung, welche mit 
großen Opfern nahezu erreicht war, neuerdings in unabsehbare Ferne gerückt. 
Dieser Zustand der Landeswährung, sowie die finanziellen und Creditzustände 
überhaupt üben in immer deutlicher wahrnehmbarer Weise die empfindlichste 
Rückwirkung auf die productiven Kräfte des Vaterlands, deren Hebung die 
unerläßliche Grundlage aller gedeihlichen Entwicklung bildet. Das Haus der 
Abgeordneten wird diesen Angelegenheiten und den zu gewärtigenden Vor- 
lagen die gewissenhafteste Aufmerksamkeit zuwenden, es kann jedoch nicht 
unterlassen schon jetzt sein tiefes Bedauern darüber auszusprechen, daß bis 
auf die neueste Zeit herab, ohne die Mitwirkung der Volksvertretung abzu- 
warten, außerordentliche Verpflichtungen für den Staatsschatz eingegangen 
und weitaussehende Unternehmungen begonnen wurden, welche große Aus- 
gaben für die Zukunft in Aussicht stellen. Das Haus der Abgeordneten 
muß die zuversichtliche Erwartung aussprechen, daß in dieser Weise nicht mehr 
vorgegangen, vielmehr Alles, was davon noch ungeschehen gemacht werden 
kann, werde rückgängig gemacht werden. Denn jenes Vorgehen ist unter 
den gegebenen Verhältnissen nicht bloß für die hartbedrückten Steuerpflichtigen 
bedenklich, sondern auch geradezu eine Gefährdung der Rechte der Staats- 
gläubiger. Zugleich mit dem Frieden im Innern des Reichs bedarf Oester- 
reich zur Lösung der ihm neuerdings und unter erschwerten Verhältnissen 
gestellten Aufgaben des Friedens nach Außen. Der Werth der erfolg- 
reichen Schritte, welche die kais. Regierung zur Erhaltung des europäischen 
Friedens unternahm, wird durch die Erklärung Ew. Maj. erhöht, daß ihr jeder 
Gedanke an Wiedervergeltung fremd sei. Das Abgeordnetenhaus theilt die 
Ueberzeugung, daß das, was im Verein mit der Krone zur Wiedergewinnung 
des allgemeinen Wohlstandes und zur Herstellung eines unumstößlich ge- 
sicherten Verfassungslebens aus Grundlage freier pelitischer und nationaler
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.