Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

336 
Frankreich. 
„Seit Ihrer letzten Session haben sich ernste Ereignisse in Europa zuge- 
tragen. Wiewohl sie die Welt durch ihre Schnelligkeit und die Bedeutsamkeit 
ihrer Erfolge in Erstaunen gesetzt haben, scheint es doch, daß sie nach der 
Voraussicht des (ersten) Kaisers sich unabweisbar vollzlehen mußten. Napoleon 
sagte zu St. Helena: „„Einer meiner größten Gedanken war die geographische 
Zusammenschließung und die Concentrirung derjenigen Völker, die durch 
die Revolutionen und die Politik zerspalten und zerstückelt worden waren. 
Diese Zusammenschließung (agglomératlon) wird früher oder später durch 
die Macht der Dinge zu Stande kommen; der Anstoß ist gegeben, und ich 
denke nicht, daß nach meinem Fall und dem Verschwinden meines Systems 
ein anderes großes Gleichgewicht in Europa möglich sein wird, als das der 
Zusammenschließung und des Bundes der großen Völker."““ Die Umge- 
staltungen, welche in Italien und in Deutschland vor sich gegangen sind, be- 
reiten die Verwirklichung des umfassenden Programmes der Einigung der 
europäischen Staaten in einer einzigen Consöderation vor. Das Schauspiel 
der Anstrengungen der benachbarten Völker, um ihre seit so vielen Jahr- 
hunderten zerstreuten Glieder zu sammeln, kann ein Land, wie das unfrige, 
dessen sämmtliche Theile unwiderruflich unter einander verbunden sind und 
einen gleichartigen, unzerstörbaren Körper bilden, nicht beunruhigen. Wir 
haben mit Unparteilichkeit dem Kampfe zugeschaut, der sich jenseits des 
Rheines entsponnen hatte. Angesichts dieses Zusammenstoßes hatte das Land 
laut seinen Wunsch kundgegeben, demselben fremd zu bleiben. Nicht allein 
bin ich diesem Wunsche nachgekommen, sondern ich habe auch alle meine Be- 
mühungen aufgebotlen, um den Abschluß des Friedens zu beschleunigen. Ich 
habe nicht einen Soldaten mehr unter Wassen gestellt, kein Regiment vor- 
rücken lassen, und doch besaß die Stimme Frankreich's Einfluß genug, um 
den Sieger vor den Thoren Wien's auszuhalten. Unsere Vermittlung hat 
zwischen den kriegführenden Theilen eine Einigung herbeigeführt, die, indem 
sie Preußen das Ergebniß seiner Erfolge beließ, Oesterreich die Integrität 
seines Gebietes, mit Ausnahme einer Provinz, erhielt, und durch die Ab- 
tretung von Venetien die italienische Unabhängigkeit vervollständigte. Unsere 
Aktion machte sich also im Sinne der Gerechtigkeit und der Versöhnung 
geltend. Frankreich hat nicht das Schwerl gezogen, weil seine Ehre nicht 
auf dem Spiele stand, und weil es versprochen hatte, eine strenge Neutralität 
zu wahren. In einem andern Welttheil waren wir genöthigt, zur Gewalt 
zu greifen, um gerechten Beschwerden abzuhelfen, und wir versuchten, ein 
ehemaliges Kaiserreich wieder aufzurichten. Die glücklichen Resultate, die 
wir anfänglich erzielt hatten, wurden durch ein unglückliches (fächeux) Zu- 
sammentrefsen von Umständen gefährdet. Es war ein großer Gedanke, der 
zur mexicanischen Expedition veranlaßt hatte: Die Wiedergeburt eines Volkes 
zu bewerkstelligen, die Jdeen der Ordnung und des Fortschrittes in dasselbe 
zu verpflanzen, unserem Handel einen ausgedehnten Markt zu eröffnen und 
als die Spur unseres vorübergehenden Verweilens die Erinnerung an die 
der Civilisation geleisteten Dienste zurückzulassen; das war mein und Ihr 
Wunsch. Allein, an dem Tage, an welchem mir das Maß unserer Opfer 
die Interessen, welche uns jenseits des Oceans geführt hatten, zu übersteigen 
schien, habe ich mich aus freiem Antrieb dazu entschlossen, unser Armeecorps 
zurückzurusen. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat begriffen, daß 
eine wenig versöhnliche Haltung die Occupation nur verlängern und die 
Beziehungen verbittern (envénimer) könnte, welche zum Wohl der beiden 
Völker freundschaftlicher Natur bleiben sollen. Im Orient sind Unruhen 
ausgebrochen, allein die Großmächte verständigen sich, um eine Situation 
anzubahnen, die den gerechten Wünschen der christlichen Bevölkerungen genüge, 
die Rechte des Sultans wahre und gefährlichen Verwickelungen vorbeuge. 
In Rom haben wir die Convention vom 15. September getreulich ausge- 
geführt. Die Regierung des heil. Vaters ist in eine neue Vhase eingetreten.“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.