Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

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KRußland. 
fühlt, erweitern, oder offen, ohne sich verschämt mit verschiedenen Masken zu 
verhüllen, ohne im Geringsten das Geschrei unserer Gegner zu beachten, die 
russische Fahne in den Ostseeprovinzen auspflanzen, und dam wollen wir 
sehen, welche Seite die Oberhand behält.“ 
Um der Polemik zwischen den nationalrussischen Moskauer Blät- 
tern und den deutschen Zeitungen der Ostseeprevinzen über die 
Frage der Russifizirung der Ostseeprovinzen und die verbrieften Rechte 
dieser gegen ein solches Vorgehen wird der baltischen Presse (die 
seit dem Dec. 1865 unter Censur steht, während die Blätter 
von Moskau und St. Petersburg seit dem Sept. 1865 einer gewissen 
Preßfreiheit genießen) die Behandlung der Sprachenfrage gänzlich 
untersagt. 
16. Nov. (Polen.) Den Beamteten wird die Datirung nach dem alten 
21. 
Kalender anbefohlen; das Publikum fährt indeß fort, sich des neuen 
zu bedienen. 
„ (Baltische Provinzen). Der zur Berichterstattung über die 
Stimmung der deutschen Bevölkerung nach St. Petersburg berufene 
Generalgouverneur Aldebinsky kehrt nach Riga zurück: die Ver- 
fügung vom 13. Juni bez. Ausdehnung der russ. Sprache wird 
keineswegs außer Kraft gesetzt. Ein offiz. Artikel der „Nord. Post"“, 
des Organs des Ministeriums des Innern, sucht sie vielmehr zu 
rechtfertigen und verlangt neuerdings „bedingungslose Unterwerfung 
unter die allgemeinen Grundsätze der Bürgereinheit.“ 
Dec. (Baltische Provinzen). Der lirvländische Landtag beschließt, 
dem Kaiser eine ehrfurchtsvolle Adresse zu unterbreiten und in dieser 
offen und leyal um die Aufrechthaltung des Landesrechts in der 
Sprachenfrage zu bitten. 
Aumerkung. Csth= und Lioland gehören seit Peter dem Großen, Kur- 
land seit 1795 zum russischen Reiche. Aber durch Verträge und’ Capitula-- 
tionen sind ihren Ritter= und Landschaften Rechte zugebilligt und garantirt 
worden, die im Nystädter Frieden bestätigt und von allen russischen Mo- 
narchen beim Regierungsantritte beschworen wurden. Zu diesen Rechten ge- 
hört ausdrücklich „der Gebrauch der deutschen Sprache in den Gouvernements- 
unk Stadt-Kanzleien, eben so bei den Gerichten.“ Nicht nur in der voll- 
ständigen Gesetzsammlung des russischen Reiches, sondern auch in dem „Sswod,“ 
dem für richterliche Entscheidungen maßgebenden Codex, steht dieses Recht ver- 
zeichnet und verbriest. Der Provinzial-Codex (I, 121) faßt den rechtlichen 
Zustand in folgende Worte zusammen: „In den Behörden der Ostsee-Gou- 
vernements werden die Geschäfte im Allgemeinen in deutscher Sprache ver- 
handelt, außer in den Bauergemeindegerichten, wo sie in der örtlichen lettischen 
oder esthnischen Sprache verhandelt werden.“ Als ein Beweis für die aus- 
schließliche Geltung der deutschen Sprache kann ein Gesetz von 1842 gelten, 
das einer aus der allzu stricten Befolgung dieses Rechtes möglicher Weise 
entstehenden Justizverweigerung vorbeugen sollke und als Art. 122 in den 
Provinzial-Codex ausgenommen wurde. Dieser Artikel lautet: „Die Gerichts- 
behörden der Ostseeprovinzen können, alle ihre Geschäfte in deutscher Sprache 
verhandelnd, deßhalb nicht Gesuche und Schriften, welche aus anderen Gou-
	        
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