Türkei. 415
der Insel soll ein General-Gouverneur oder Vali, den Oberbefehl über
Truppen und Festungen ein Chef-Commandant führen — zwei Posten, die
nur in Ausnahmsfällen in Einer Hand vereint sein sollen. Zur Unter-
stützung des Vali wird der Sultan aus den Reihen der höheren Beamten
einen christlichen und einen muselmanischen Rath ernennen. Die JInsel zer-
jällt in Sandschaks, deren Gouverneure zur einen Hälste Christen, zur andern
Moslims sein sollen; den ersteren stehen muselmanische, den letzteren christ-
liche Adjuncten zur Seite, Alle aber ernennt die Regierung. Die gleiche
Regel ist bei Besetzung der Kaimakam= oder Unter-Gouverneursstellen einzu-
halten, welchen die Verwaltung der Cantone oder Kazas, Unterabtheilungen
der Sandschaks, obliegt. Auch bei den Finanzposten sollen beide Nationali=
täten concurriren; ein Defterdar steht an der Spitze des Ganzen und hat
Unter-Directoren für die Sandschaks, sowie einen Beamten für jeden Kaza.
Jedem Gouverneur steht ein Verwaltungsconseil zur Seite, und zwar haben
in demjenigen des General-Gouverneurs dessen beide Räthe, der Chef des
Gerichtswesens, der griechische Metropolit, der Desterdar, die Directoren der
Correspondenz und sechs andere Mitglieder Sitz und Summe, welche letzteren,
drei Christen und drei Moslims, von ihren Glaubensgenossen gewählt werden.
Die offizielle Correspondenz wird auf der ganzen Insel in beiden Sprachen
gesührt. In ähnlicher Weise besteht der Verwaltungsconseil des Gouverneurs
in jedem Sandschak aus dem Adjuncten, dem Richter, dem Bischof, dem
Finanz-Intendanten, den Directoren der Correspondenz und sechs vom Volke
gewählten Männern, unter denen drei Christen sind; nur in den Sandschaks
mit rein christlicher Bevölkerung sind alle sechs Christen. Für jeden Canton
soll ein analoger Administrationsrath zusammengesetzt werden. Am Regie-
rungssitze, sowie in jedem Sandschak und Canton sollen Civil= und Criminal=
gerichte gebildet werden, deren Beisitzer die Bevölkerung wählt, und welche
in den gemischten Bezirken aus Christen und Moslims, in den Territorien
mit rein christlicher Bevölkerung lediglich aus Christen bestehen. In der
Haupistadt Creta's wird ein rein mohamedanisches Tribunal mit religiösem
Charakter die Processe zwischen Moslims entscheiden. Jede Gemeinde und
jedes Sandschak soll überdieß einen von der Bevölkerung erwählten Nath der
Alten haben, und zwar einen für die Moslims, einen anderen für die Christen.
In jedem bürgerlichen, peinlichen oder geschäftlichen Prozesse zwischen Türken
und Christen erkennt ein gemischter Gerichtshof. Außerdem soll eine Art von
Volksrepräsentanz am Sitze der Regierung gebildet werden, zu welcher jeder
Canton Creta's zwei Delegirte entsendet, einen Christen und einen Muselman
in Fällen gemischter Bevölkerung, sonst zwei Christen oder auch resp. zwei
Moslims. Dieses Parlament wird einmal jährlich zusammenberusen, um
sich mit den auf das öffentliche Wohl bezüglichen Gegenständen zu beschäftigen,
wie: Straßenbau, Creditanstalten, Hebung von Handel, Gewerbe und Acker-
bau, endlich allgemeine Principien des öffentlichen Unterrichts. Die Fonds
zur Ausführung der von diesem Parlamente vorgeschlagenen Verbesserungen
wird die Pforte auf die Einkünfte der Insel anweisen, und die Verwendung
selbiger Fonds unter die Controle des Parlamentes stellen, welches in dem
Entwurse den Namen „Generalrath" führt. Da die Einwohner Candia's
von jeher der directen Steuern, welche die anderen Provinzen zahlen, ent-
hoben gewesen sind, werden sie auch in Zukunst nur den Zehent, die Abgabe
für Enthebung vom Militärdiensie, die Zölle und die Auflagen auf Getränke,
Salz und Tabak entrichten, welche letzteren als Compensation für die Herab-
setzung der Zölle eingeführt sind. Außer diesen und einigen anderen auf
Creta wie im ganzen Reiche üblichen Steuern verspricht die Pferte den Can-
dioten keine Zahlungen zuzumuthen. Wie diese Lasten am leichtesten einzu-
heben und zu tragen sind, das zu berathen soll die erste Aufgabe des General=
Conseils sein.