Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

                 Preußen und der norddentsche Bund.                  45 
völlig unparleiisch zu unterrichten. Man hält nur eine; diese eine pflegt nur 
die extremsten Reden und Aeußerungen ihrer Partel wiederzugeben. Der- 
jenige, der das liest, ist nicht in der Lage seines an und für sich vielleicht 
urtheilsfähigeren Vertreters im Parlamente, diese Aeußerungen und Partei- 
Auffassungen nach dem Maße der Widerlegung, die sie erfahren, abzuwägen 
und sich das Richtige aus dem Widerstreite der verschiedenen Meinungen 
herauszuziehen, sondern er hört nur diesen einen Redner, der gerade der 
Freund der Zeitung ist, die er liest. Ich führe dies an, um nachzuweisen, 
nicht, daß die Staats-Regierung die Discussion derjenigen Fragen, die uns 
beschäftigen werden, und die ja das Wohl der ganzen Nation berühren, 
in dem weitesten Kreise scheut, sondern daß sie nur gleiche Vertheilung 
von Sonne und Wind bei dieser Gelegenheit wünscht. In derjenigen 
Urena, die nur dem Zeitungsleser zugänglich ist, und außerhalb der 
parlamentarischen Kämpfe ist dies aber bei voller Freiheit unerreichbar, 
und da ist die Correctur des Strafgesetzes, meines Erachtens, unentbehr- 
lich, weil die Excesse, die Ueberschreitungen diejenige Widerlegung und 
Würdigung, die sie im Parlamente finden, im Publikum und gegenüber 
dem einzelnen Leser nicht finden. Außerdem ist doch noch sehr fraglich, ob 
es überhaupt der öffentlichen Ruhe und Entwicklung der deutschen Verfassung 
förderlich ist, wenn dieses Mittel der Aufregung, was die Presse bei dem 
Parlamente für einige an der Presse betheiligte Abgeordnete bietet, in einem 
ganz unbegränzten und vom Strafrechte durchaus exempten Maße bewilligt 
wird. Das Parteiwesen ist bei uns noch nicht durch eine lange constitutionelle 
Gewohnheit so weit abgemildert, daß auch nur jedem Wählerkreise das 
Vaterland höher steht, als die Partei. Wir haben in dieser Beziehung noch 
in den jüngsten Wochen traurige Erfahrungen darüber gemacht, daß die per- 
sönliche Leidenschaft, die Partei-Leidenschaft, die Eitelkeit doch schließlich höher 
steht, als das Interesse für irgend eine nützliche und nationale Einrichtung. 
Hoffen wir, daß nicht gerade die schlimmsten Vertreter nach dieser Richtung 
hin gewählt werden; aber möglich ist es doch immerhin, daß Leute, die jeden 
staatlichen Zweck negiren nach ihrem ganzen Verhalten und die sich vollkom- 
men berechtigt halten, die unbeschränkte Preßfreiheit dictando von der 
Tribune her rücksichtslos auszubeuten, — es ist doch möglich, daß solche 
Leute gewählt werden. Nehmen Sie den Fall an, daß Leute, die sich vom 
Vaterlande vollständig losgesagt haben, ich kann sagen, schamlos losgesagt 
haben, Leute, die offenkundig im Solde des Auslandes gegen ihr Vaterland 
dienen und schreiben — und es sind hin und wieder derartige Candidaturen 
vorgeschlagen — gewählt werden, so fürchte ich, daß von der ehernen Stirn, 
die einigen dieser Leute beiwohnt, mit dem Rechte, beliebige Zeitungs-Artikel 
straffrei zu dictiren, ein Mißbrauch getrieben werden würde, der auch dem 
lebhaftesten Anhänger der hier vorgeschlagenen Preßfreiheit zu viel werden 
würde. Wenn der Vorredner als Grund für die Annahme des Gesetz- 
entwurfes anführt, daß eine ähnliche Einrichtung in unserer Bundesverfassung 
besteht, so ist die Thatsache allerdings richtig. Wenn es sich für unsere 
Landesvertretung de lege ferenda handelte, so wäre es vielleicht nicht minder 
richtig, dagegen zu kämpfen, als gegen die Erweiterung dieser Bestimmung 
auf den norddeutschen Reichstag. Es handelt sich aber dort um ein be- 
stehendes Gesetz.“ v. Kleist-Retzow entschuldigt den Antrag der Com- 
mission, sie habe die Auffassung der Regierung ja nicht gekannt. Bericht- 
erstatter Heffter vertheidigt dagegen dringend den Antrag der Commission. 
Bei der Abstimmung wird das Gesetz gegen bloß 10 Stimmen 
verworfen; die Minister stimmen mit der Mehrheit. 
4. Febr. (Sachsen-Weimar). Abschluß einer Militär-Convention 
mit Preußen. 
Art. 1 derselben enthält die Bestimmung, daß den Staaten, welche die
	        
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