Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1867. 521 
norddeutschen Reichstage zugestanden hat, so läßt sich gar nicht läug-Preußen. 
nen, daß dieses Maß ein sehr bescheidenes, sehr beschränktes war. 
Die öffentliche Meinung konnte darüber keinen Augenblick im Zwei- 
fel sein. Indeß nicht die Vergleichung mit England oder Oester- 
reich lag ihr zunächst, sondern diejenige mit Preußen und diese Ver- 
gleichung war keineswegs eine bloß theoretische, sondern eine sehr 
praktische, weil sich der preußische Landtag ja ausdrücklich die Ge- 
nehmigung der vom Reichstag zu beschließenden Bundesverfassung 
und damit das letzte Wort in der ganzen Angelegenheit vorbehalten 
hatte, und zwar ausgesprochener Maßen von der bedingenden An- 
schauung aus, daß dem preuß. Landtag keines seiner bisherigen Rechte 
entzogen werden dürfe, wenn dasselbe nicht wenigstens voll und ganz 
auf den neuen Reichstag übergetragen werde. Die preuß. Verfassung 
gewährte ja nur ein bescheidenes Maß von Volksrechten und die 
letzten Jahre hatten unwiderleglich bewiesen, daß ein Theil selbst 
dieser Rechte und Befugnisse ein illusorischer war. Nun aber ging 
die neue Bundesverfassung in mehr als einem Punkte noch selbst 
hinter die preuß. Verfassung zurück und es mochte daher in der That 
fraglich sein, ob der preuß. Landtag dieselbe annehmen oder ablehnen 
werde. In einem Punkte zwar mochte die neue Bundesverfassung 
als ein großer und entschiedener Fortschritt unbedingt anerkannt wer- 
den: sie kannte nur eine aus dem allgemeinen Stimmrecht, aus di- 
recken und geheimen Wahlen hervorgehende Volksvertretung ohne ein 
Ober= oder Herrenhaus. Die Anerkennung des allg. Stimmrechts 
freilich konnte der preuß. Regierung nicht allzu hoch angerechnet 
werden: das Beispiel Frankreichs lag allzu nahe und auch die Wah- 
len zum ersten norddeutschen Neichstag hatten gezeigt, daß dasselbe 
selbst ohne eine so unwürdige Beeinflussung von Seite der Regierung 
wie in Frankreich ein zweischneidiges Schwert und jedenfalls nicht 
unter allen Umständen eine demokratische, ja nicht einmal eine liberale 
Maßregel ist, obgleich man Ursache hatte, mit dem Resultat des ersten 
Versuches damit in Deutschland zufrieden zu sein, in so fern als es 
wenigstens eine Versammlung ins Leben gerufen hatte, die so ziem- 
lich dem Stande der öffentlichen Meinung entsprach und jedem Stand, 
jeder politischen Partei zu mehr oder weniger angemessener Vertretung 
verhalf, von einer Anzahl preuß. Herzoge bis zu einer Anzahl ent- 
schiedener Socialdemokraten herab. Aus einer richtigen Erwägung
	        
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