Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achter Jahrgang. 1867. (8)

540 
Uebersicht der Ercignisse des Jahrts 1867. 
Nom. ohne allen seinen politischen Grundsätzen geradezu ins Gesicht zu 
schlagen. Zunächst indeß hatte das päpstliche Regiment von den Rö- 
mern in der That nicht allzu viel zu besorgen. Die Bewohner der 
Provinz, sind, mit Ausnahme einiger Landstädte, namentlich Viterbo's, 
in ihrer politischen und materiellen Entwickelung viel zu weit zurück, 
um gefährlich zu sein, meist sogar viel zu weit, um auch nur zu ver- 
stehen, um was es sich eigentlich handle; gegen die Bevölkerung der 
Stadt Rom aber, deren entschiedene Mehrheit allerdings der Priester- 
herrschaft abgeneigt ist und nach einem autonomen, weltlichen Regi- 
mente verlangt, das den Forderungen der Nenuzeit gerecht würde wie 
in der ganzen übrigen Welt, verließ sich der Papst auf seine Armee, 
die, etwa 10,000 Mann stark und meist aus geworbenen Auslän= 
dern bestehend, dieser Aufgabe mehr als gewachsen schien, wofern nur 
den Neuerern von außen d. h. von Italien her keine Unterstützung zu 
Theil wurde. Dazu aber hatte sich ja Italien förmlich verpflichtet. 
Allein wenn es sich auch dazu verpflichtet hatte, überhaupt dazu, die 
Lösung der römischen Frage nicht durch gewaltthätige Mittel zu er- 
zielen, so hatte es doch keineswegs darauf verzichtet, dasselbe Ziel 
durch „moralische Mittel“ zu erreichen, ja nicht einmal formell und 
ausdrücklich, wenn auch allerdings gewissermaßen thatsächlich auf sei- 
nen früheren Parlamentsbeschluß, durch welchen Rom zur Haupt- 
stadt Italiens erklärt worden war. Worin indeß jene „moralischen 
Mittel“ bestehen sollten, blieb zweifelhaft, jeder konnte sich darunter 
denken, was er wollte und mochte, ebenso zweifelhaft, als es das 
Ziel im Grunde selber war. Im allgemeinen konnte dasselbe als 
ein doppeltes bezeichnet werden — die vollständige Beseitigung der 
weltlichen Herrschaft des Papstes und die Erledigung der seit einer 
Reihe von Jahren zwischen Staat und Kirche ausgebrochenen Streitig- 
keiten durch eine vollständige Neuordnung des ganzen Verhältnisses 
nach dem von Cavour hinterlassenen Grundsatze einer „ freien Kirche 
im freien Staat“, d. h. durch Trennung von Staat und Kirche. 
Allein der einen wie der andern Aufgabe standen fast unüberwind- 
liche Schwierigkeiten entgegen. Eine völlige Beseitigung auch noch 
der letzten Reste der weltlichen Herrschaft des Papstes war doch nur 
möglich, wenn die Unabhängigkeit des hl. Stuhls in anderer Weise 
hinlänglich gesichert wurde, um den in so fern durchaus berechtigten 
Interessen und Forderungen der katholischen Welt zu genügen; die 
italienische Regierung war nun dazu allerdings, so weit es von ihr
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.