Gesterreich-Ungarn. 289
worden waren, sah sich die Regierung genöthigt, zur Verhängung von Aus-
nahmsmaßregeln zu schreiten, welche die Lage in jeder Beziehung nur er-
schwerten und verschlimmerten. Die Majorität des Ministeriums erhebt den
Vorwurf, daß durch die angestellten Vermittlungsversuche die Kraft der Re-
gierung geschwächt worden sei, und daß man es unmöglich gemacht hat, zu
erproben, welchen Erfolg das feste und ruhige Beharren einer in sich einigen
Staatsverwaltung auf dem Boden der Verfassung erzielen kann. Die ehr-
furchtsvollst Unterzeichneten aber dürfen aus ihrer Erfahrung und Ueberzeu-
gung entgegnen, daß die Negierung schon längst wieder zur Verhängung von
Ausnahmsmaßregeln gedrängt worden wäre, wenn nicht die angebahnte Ver-
ständigung, deren „klägliches Mißlingen“ in diesem Augenblicke wenigstens noch
nicht behauptet werden darf, durch den Einfluß der maßgebenden Persönlich-
keiten zu einiger Mäßigung geführt hätte. Ist aber erst das Programm der
Majorität des Ministeriums eine Wahrheit geworden, dann wird es nicht
lange währen und die wieder heftiger und kühner hervortretenden Ausschrei-
tungen werden abermals zur Suspendirung der verfassungsmäßigen Rechte
nöthigen. Oder glaubt die Majorität des Ministeriums, mit Preßfreiheit,
Vereins= und Versammlungsrecht und den keine Schuld entdeckenden czechischen
Geschwornen „allmählig und schrittweise“ den fort und fort zunehmenden und
immer unversöhnlicher anwachsenden Widerstand beugen zu können? Und wer
vermag die Bürgschaft dafür zu bieten, daß die Verhängung des Ausnahms-
zustandes sich nicht auch noch in anderen Provinzen als nothwendig heraus-
stellen wird Und woher schöpft die Majorität der Regierung die Gewißheit,
daß ihr die äußeren Verhältnisse des Staates die lange Muße gewähren wer-
den, um den „Weg der Geduld und Ausdauer weiter zu wandeln“ und den
Widerstand „allmälig und schrittweise“ zu beugen?
„Die ehrfurchtsvollst Unterzeichneten müssen es als eine wesentliche Lücke
in den Ausführungen der Majorität bezeichnen, daß sich die letztere der Er-
wägung der unmittelbaren und fernen Consequenzen ihres Programms völlig
entzieht. Für diesen empfindlichen Mangel dürfte es kaum tröstende Beruhi-
gung gewähren, wenn, wiewohl allerdings richtig, darauf hingewiesen wird,
daß die Schwierigkeit der Lage es nicht gestatte, Erfolge mit Sicherheit zu
verbürgen, am allerwenigsten aber eine solche Bürgschaft für einen raschen Erfolg
abzugeben. Die nächsten Consequenzen und die letzten Erfolge sind eben ver-
schiedene Dinge; aber die voraussichtlichen nächsten Consequenzen scheinen gerade
dem Programme der Majorität gegenüber klar anzudeuten, daß es von dem
gehofften schließlichen Erfolge kaum gekrönt werden dürfte. Für die ehrfurchts-
vollst Unterzeichneten gebricht es daher an allen Momenten, welche geeignet
wären, ihnen zu dem Programm der Majorität Vertrauen einzuflößen. Dazu
kommt aber noch die Erwägung, daß es uns scheinen will, als ob das Pro-
gramm der Majorität der Regierung nicht auch von der Majorität der Be-
völkerung acceptirt würde. Zwar auf die Majorität des Reichsrathes in sei-
ner gegenwärtigen Zusammensetzung mag die Moajorität des Ministeriums mit
Sicherheit zählen können. Ob aber auch nur diese Majorität eine sehr bedeu-
tende sein wird, steht denn doch noch in Frage. Wenigstens ist in dem Sub-
comité des Adreß-Ausschusses des Abgeordnetenhauses die Majorität nicht auf
dem Standpunkte des Programms der Regierungs-Majorität, und im Adreß-
ausschusse selbst dürften sich die Stimmen nach den Richtungen der beiden
Fractionen der Regierung mit acht gegen sieben Stimmen gegenüberstehen.
Säßen aber alle jene Abgeordneten im Hause, welche sich von demselben fern-
halten, dann wäre die Majorität wohl unzweifelhaft für diejenige Anschauung,
welche eine Verständigung mit der nationalen Opposition wünscht, und in noch
höherem Maße würde dieser Erfolg durch einen Appell an die Wähler zu
Tage treten. Mit diesen Bemerkungen glauben aber die ehrfurchtsvollst
Unterzeichneten auch bereits die Richtung angedeutet zu haben, in welcher, auf
streng verfassungsmäßigem Wege und auch mit einiger Voraussicht aus Er-
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