Preußen und der norddeutsche Bund. 95
nedettiische Programm durchzuführen, d. h. auf Kosten Belgiens Frie-
den zu schließen.“
27. Juli. Der Kronprinz von Preußen, der Höchstcommandirende der
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dritten deutschen Armee, geht über München, Stuttgart und Karls-
ruhe, wo er mit großer Sympathie empfangen wird, zu jener ab.
Die sämmtlichen süddeutschen Streitkräfte sind ihm unterstellt.
„ Der kath. Geistliche und Professor der Philosophie an der Akademie
Braunsberg, Fr. Michelis, veröffentlicht folgende Erklärung:
„Offene Anklage gegen Papst Pius IX. Ich, ein sündhafter Mensch, aber
fest im h. katholischen Glauben, erhebe hiemit vor dem Angesichte der Kirche
Gottes offene und laute Anklage gegen Papst Pius IX. als einen Häretiker
und Verwüster der Kirche, weil und insoweit er durch die mißbrauchte Form
eines allgemeinen Conciliums den weder in der hl. Schrift noch in der Ueber-
lieferung begründeten, vielmehr der von Christus angeordneten Verfassung der
Kirche direkt widersprechenden Satz, daß der Papst, getrennt von dem Lehr-
körper der Bischöfe, der unfehlbare Lehrer der Kirche sei, als einen geoffen-
barten Glaubenssatz hat verkündigen lassen und somit versucht hat, das gott-
lose System des Absolutismus in die Kirche einzuführen. Ich kann bei mei-
nem Verständnisse des katholischen Glaubens meinem Gewissen nur durch diesen
entschiedenen Schritt genügen, indem ich von dem kanonisch verbürgten Rechte
Gebrauch mache, dem Papste, der nach dem Ausspruche Innocenz III., wenn
er ein Häretiker ist, dem Urtheile der Kirche unterliegt, wenn er auf den
Nuin der Kirche hinarbeitet, offen ins Angesicht zu widerstehen.“
„ (Nordd. Bund). Eine Circular-Depesche Bismarcks erörtert
und vervollständigt die zuerst in der Times gemachten Enthüllungen
über die Absichten Frankreichs auf Belgien 2c.
„Der von Lord Granville und Mr. Gladstone im Parlamente ausgespro-
chenen Erwartung, daß über den Vertragsentwurf des Grafen Benedetti von
den beiden betheiligten Mächten nähere Mittheilungen erfolgen würden, bin
ich vorläufig durch einen an den Grafen Bernstorff gerichteten telegraphischen
Erlaß vom 27. d. M. nachgekommen. Die telegraphische Form gestattete nur
eine kurze Darlegung, welche ich nunmehr auf schriftlichem Wege vervollstän-
dige. Das von der Times veröffentlichte Schriftstück enthält keineswegs den
einzigen Vorschlag, der uns in diesem Sinne von französischer Seite gemacht
worden ist. Schon vor dem dänischen Kriege ist durch amtliche und außer-
amtliche französische Agenten mir gegenüber versucht worden, zwischen Preußen
und Frankreich ein Bündniß zum Zwecke beiderseitiger Vergrößerung herbeizu-
führen. Ich habe kaum nöthig, Ew. Exc. darauf aufmerksam zu machen, daß der
Glaube der französischen Regierung an die Möglichkeit einer derartigen Trans-
action mit einem deutschen Minister, dessen Stellung durch seine Uebereinstim-
mung mit dem deutschen Nationalgefühl bedingt ist, seine Erklärung nur in
der Unbekanntschaft der französischen Staatsmänner mit den Grundbedingungen
der Existenz anderer Völker findet. Wenn die Agenten des Pariser Cabinets
für die Beobachtung deutscher Verhältnisse befähigt gewesen wären, so hätte
man sich in Paris der Illusion, daß Preußen sich darauf einlassen könnte, die
deutschen Angelegenheiten mit Hilfe Frankreichs ordnen zu wollen, niemals
hingegeben. Ew. Exc. sind freilich von der Unbekanntschaft der Franzosen mit
Deutschland ebenso unterrichtet, wie ich. Die Bestrebungen des französischen
Gouvernements, seine begehrlichen Absichten auf Belgien und die Rheingrenzen
mit preußischem Beistande durchzuführen, sind schon vor 1862, also vor meiner
Uebernahme des auswärtigen Amtes, an mich herangetreten. Ich kann e3
nicht als meine Aufgabe ansehen, solche Mittheilungen, die rein persönlicher
Natur waren, in das Gebiet der internationalen Verhandlungen zu übertragen,