Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

512 Mebersicht der Ereigiusse des Tähres 1870. 
ersten Zollparlament, noch mehr das empörende Verhallen sder südbeutschen 
Coalition in der Versammlung selber auf's Deutlichste“ gezeigt. Nür in 
Baden gingen Regierung und Kammern einig auf demselben“ Wege, und 
selbst hier war der Mangel an jeder Ermuthigung von Außen, die un- 
absehbare Hinausschiebung des endlichen Gelingens von sehr üblen Folgen 
für die Eintracht der entscheidenden Factoren; in Hessen“ Wünttemberh und 
Bayern aber war die nationale Partei eine ecclesia pressh, die Tag für 
Tag um Sein und Nichtsein zu ringen hatte und die in Bayern im März 
1870 ihr Ministerium Hohenlohe durch die Ultramontanen stürzen sah. 
Die preußische Regierung aber enthielt sich jedes Drucks auf die Gegner, 
deren Presse von Schmähungen überschäumte, ja selbst jeder Ermuthigung 
ihrer besten Freunde, die ihrer so dringend bedurften, und das bis zu dem 
Maß, daß, als dies Verhältniß zum erstenmal öffentlich zur Sprache kam, der 
Anschein erweckt wurde, als habe die deutsche Politik Preußens ##uf lange Zeit 
hinaus Halt gemacht. Am 24. Febr. 1870 sagte der Abg. Lasker zur 
Begründung eines Antrags, der der badischen Politik den Dank des Nord- 
bundes aussprechen und den Weg zum Ziel erleichtern sollte: „Bäden will 
eintreten in den Bund — aber es geschieht nicht. Wo liegt die Schuld? 
Ich kann sie nur in Preußen suchen. Wir müssen über den Main gehen, 
wir haben die Mainlinie 1866 nur in der Noth des Augenblicks acceptirt. 
Deutschland darf nicht getheilt bleiben in zwei Hälften. Sobald Baden 
in den Bund eingetreten, ist der Bund Deutschland, und die anderen süd- 
deutschen Staaten müssen folgen; alle Künste der Diplomaten helfen da 
Nichts mehr.“ In den auswärtigen Verhältnissen sah er kein Bedenken, 
da Oesterreich und Frankreich gerade jetzt mehr als je mit sich selbst be- 
schäftigt seien. Der Graf Bismarck antwortete höchst verstimmt mit der 
öffentlichen Erklärung, daß er diesem Antrage vollständig fremd sei, daß 
er ihm „überraschend und im höchsten Grade unerwünscht komme“, daß 
er ihn für einen politischen Fehler halte, der sich nicht wiederholen dürfe, 
wenn ihm nicht die Leitung der deutschen Politik unmöglich gemacht wer— 
den solle, und gab der Versammlung zu erwägen, ob nicht Baden als der 
einzige officielle Träger des nationalen Gedankens in Süddeutschland der 
Sache der nationalen Einigung außerhalb des Bundes förderlicher sei, als 
innerhalb? Ob man gut thue, das Element, das der nationalen Entwick- 
lung im Süden am günstigsten sei, als Nordbundinsel mit einer Barrière 
zu umgeben, gewissermaßen den Milchtopf abzusahnen und das Uebrige 
sauer werden zu lassen?
	        
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