Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 97
gegen die Landesgesetze machen. Ich will Ihnen ein Mittel angeben, diese
Gefahr zu vermeiden; stimmen Sie nie für Gesetze, welche Rebellen gegen
Gottes Gesetze sind (Unruhe); dann werden wir nie gegen Landesgesetze re-
belliren. Ich nehme bei dieser Debatte einen höheren Standpunkt ein, den
alle theilen müssen, die Gerechtigkeit lieben und üben; ich würde nicht zu Ihnen
sprechen, wenn ich nicht hoffte, Sie zu diesem Standpunkt der höheren Ge-
rechtigkeit zu bekehren. Wir sind hier, zu vollenden, was die Waffen begonnen
haben, aber im Geiste unseres Kaisers und unseres Heeres. Der Kaiser hat
immer Gott die Ehre gegeben, auch unser Heer war von Gottesfurcht beseelt,
anders wie das französische. Dieser fromme Geist muß auch Ausdruck finden
in unserem Verfassungswerke, die Achtung der religiösen Ueberzeugung müssen
wir garantiren und die religiösen Kämpfe von dem politischen Boden aus-
schließen. Unser Antrag ist die magna charta des Religionsfriedens in
Deutschland. Für die Religionsgenossenschaften fordern wir freiheitliche Be-
wegung und Selbstverwaltung. Die Ansichten Treitschke's sind kein Fortschritt,
sondern ein Rückschritt zu alten Verhältnissen. Wollen Sie die Freiheit von
oben herab, von den Consistorien, oder durch das Volk! Wenn Treitschke sagt,
der Artikel 15 hätte in Preußen zu unzähligen Streitigkeiten geführt, so ist
das nicht wahr; die religiösen Zwiste in diesem Lande haben aufgehört (Wi-
derspruch). Der Artikel 15 hat in Preußen den religiösen Frieden garantirt;
deshalb wollen wir ihn auf Deutschland übertragen und dadurch bodenlose
Zerwürfnisse vermeiden. Schließlich noch Eins! Diese Debatte wird mit un-
endlicher Aufmerksamkeit im Elsaß verfolgt werden; verletzen Sie nicht die
religiösen Gefühle des Elsaß! (Heftiger Lärm.) v. Rabenau: Sie selbst
verletzen sie! Ich werde es Ihnen nachweisen. Graf Renard (freicons.):
Weder Herr v. Ketteler, noch Herr Neichensperger hat uns über den Wider-
spruch aufgeklärt, der darin liegt, daß sie, deren Partei eben die fast zweitau-
sendjährige bischöfliche Verfassung der katholischen Kirche zu Gunsten einer ab-
soluten Gewalt umgestürzt hat, hier liberale Institutionen vertheidigen. (Leb-
hafter Beifall.) Der überzeugenden Rede Treitschke's habe ich im Grunde
nichts hinzuzufügen; nur in einer Beziehung blicke ich hoffnungsreicher, als
er, in die Zukunft; ich glaube an die freie Kirche im freien Staat. Freilich
erfordert dies Problem eine viel ernstere Prüfung. Wir vermeiden diese jetzt
hauptsächlich wegen der eben geschlossenen Verträge. Hüten wir uns, den alten
Hader wieder zu erneuern; hegen und pflegen wir vorläufig, was uns eint.
In seltener Vertragstreue haben unsere süddeutschen Brüder neben uns ge-
stritten. Das Wort, das wir ihnen in diesen Verträgen gegeben, müssen wir
halten, damit der Norden dem Süden ebenbürtig sei an Treue. (Lebhaftes
Bravo.) Greil (celerical): Unser Antrag enthält keine Competenzerweiterung
des Reichstags, dem die Verfügung über das Vereinswesen zusteht; deßhalb
konnte ich ihn unterzeichnen, obgleich ich eine Zeitlang schwankte, da in Bayern
die Stellung des Staats zur Kirche bereits vertragsmäßig geregelt ist. Bis
zum letzten Moment habe ich mich dem Eintritt Bayerns in den neuen Staat
widersetzt; nachdem es jedoch geschehen ist, will ich ehrlich an ihm mitarbeiten.
Aber wenn wir Erfolg haben wollen, muß der Grundsatz der gegenseitigen
Achtung der verschiedenen Confessionen festgehalten werden. Vor meiner Wahl
habe ich, um die Freiheit meiner Wähler nicht zu beeinflussen, kein Programm
veröffentlicht (große Heiterkeit); nach meiner Wahl habe ich deutlich und klar
ausgesprochen, daß ich entschieden für die Rechte der katholischen Kirche ein-
treten werde, aber soviel ich kann, werde ich auch Unrecht gegen andere Con-
fessionen abwenden. Ich werde nie einen Gegensatz zwischen den verschiedenen
Confessionen statuiren, nie! nie! nie! (Große Heiterkeit.) Man hat gesagt, der
bevorstehende Kampf sei ein Kampf des germanischen Geistes gegen die rö-
mische Herrschaft. (Sehr richtigl) Das hat mir sehr wehe gethan. Denselben
Satz habe ich schon Dutzendemale in Zeitungen gelesen, und dort ist er dahin
interpretirt, daß die katbolische Kirche unterdrückt werden müsse (stürmische
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