122 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
in Preußen ein, ohne sich jedoch darüber mit der Regierung ver-
ständigen zu können.
2. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: Erste Berathung des Gesetz-
entwurfs über die Vereinigung von Elsaß und Deutsch-Lothringen
mit dem deutschen Reich. Rede des Reichskanzlers. Es wird be-
schlossen, die Vorlage an eine Commission von 28 Mitgl. zur Vor-
berathung zu überweisen.
Der Gesetzentwurf (s. 20. April) ist dem Reichstage unverändert in
derjenigen Form vom Bundesrath vorgelegt worden, welche ihm der be-
treffende Bundesausschuß gegeben hatte. Ebenso sind auch die dem Reichstage
mit vorgelegten Motive im Wesentlichen fast durchgängig die gleichen, von
denen auch der Bundesausschuß ausgegangen war. Eine bedeutende Aenderung
in den Motiven ist nur insofern erfolgt, als die früheren, sehr ausführlichen
Erwägungen, welche für eine Einverleibung von Elsaß und Deutschlothringen
unmittelbar in den preußischen Staat geltend gemacht wurden, jetzt gestrichen
worden sind und die Einverleibung als unmittelbares Reichsland als das
Selbstverständliche angenommen ist. Die Gesetzesvorlage stellt sich nach den
Motiven das staatsrechtliche Verhältniß von Elsaß und Lothringen so vor,
daß Souverän zu eigenem Rechte die am Ehesten noch in dem Bundesrath re-
präsentirte Staatsperson des Reiches ist, und zwar Souverän nicht bloß für
die allen Theilen gemeinsamen Reichszwecke, sondern für die Gesammtheit der
Staatszwecke. Das Reich soll aber diese Souveränetät durch Bundesrath
und Reichstag selbst ausüben nur rücksichtlich der Gesetzgebung in Reichsan-
gelegenheiten. Die Gesetzgebung in Landesangelegenheiten soll der Idee nach
oder jure proprietatis ebenfalls dem Reiche zustehen, später aber ausgeübt
werden vom Kaiser und von einer nach den Motiven noch zu bildenden Landes-
vertretung, welche in dieser Sphäre beide als Mandatare des Reichs erscheinen.
Und ebenso soll die richterliche und verwaltende Thätigkeit in Erfüllung aller
gesammtstaatlicher sowohl wie particularstaatlicher Zwecke vom Kaiser der Aus-
übung nach ausgehen, welcher aber auch in diesem Bereich nur jure mandati
die ihm zugewiesenen Rechte inne hat, während über ihm als Mandant jene
mystische Person des Reiches steht. Dem Reiche indessen ist eine Einwirkung
anf den Mandatar völlig entzogen, das Recht des Letzteren ist nicht nur un-
widerruflich, sondern selbst erblich.
Rede des Fürsten Bismarck: Das Hauptprincip des Gesetzentwurfs
ist, glaube ich, einer Meinungsverschiedenheit kaum unterworfen, nämlich die
Frage, ob Elsaß und Lothringen dem deutschen Reiche einverleibt werden
sollen. Eine Meinungsverschiedenheit wird schon deßhalb nicht vorhanden sein,
weil sie schon vor einem Jahre nicht vorhanden war und während dieses
Kriegsjahres nicht zu Tage getreten ist. Wenn wir uns zehn Monate zurück-
versetzen, so werden wir uns sagen können, daß Deutschland einig war in
seiner Liebe zum Frieden; es gab kaum einen Deutschen, der nicht den Frieden
mit Frankeich wollte, so lange er mit Ehren zu halten war. Diejenigen
krankhaften Ausnahmen, die etwa den Krieg wollten in der Hoffnung, ihr
eigenes Vaterland werde unterliegen, — sie sind des Namens nicht würdig,
ich zähle sie nicht zu den Deutschen. Ebenso einstimmig aber waren wir, als
der Krieg uns aufgedrängt wurde, wenn Gott uns den Sieg verleihen sollte,
nach Bürgschaften zu suchen, welche die Wiederholung eines ähnlichen Krieges
unwahrscheinlicher und jedenfalls die Abwehr leichter machen. Jedermann
erinnert sich, daß unter unseren Vätern seit dreihundert Jahren wohl schwerlich
eine Generation gewesen, die nicht gezwungen war, den Degen gegen Frankreich
zu ziehen, und daß, wenn bei früheren Gelegenheit versäumt worden war,