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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Verhältnisse sind aber längst in einer Weise umgestaltet worden, daß die be-
zeichnete Bangigkeit alles Anlasses entbehrt, wie ein einfacher Blick auf die
Geschichte der jüngsten Zeitereignisse lehren dürfte.
„So möge es den Ew. Maj. Staatsregierung gefallen, diese unsere Dar-
stellung einer unbefangenen Erwägung zu unterstellen. Sie wird, sie muß
zu der Ueberzeugung gelangen, daß es sich bei der das vaticanische Concil be-
treffenden Frage um eine rein kirchliche Angelegenheit, um eine reine
Glaubenslehre handelt, welche weder die Rechte der Staatsregierung noch
der Andersgläubigen berühren und alteriren kann. Ew. Majestät werden
dann auch als oberster Schutzherr der katholischen Kirche, und den Traditionen
Allerhöchst ihres Königshauses getreu, nicht länger gedulden, daß die katho-
lische Kirche, ihre Lehre und ihre Diener tagtäglich verleumdet und verdächtigt,
die kirchliche Autorität geradezu und planmäßig untergraben werde.
„Wir geben uns um so mehr der sicheren Hoffnung hin, daß Ew. Majestät
den der katholischen Kirche concordat- und verfassungsmäßig gebührenden
Schutz gewähren wollen, als es der erleuchteten Weisheit und Einsicht Ew.
Majestät unmöglich entgehen kann, wie in der Achtung der göttlichen und
kirchlichen Autorität die beste und sicherste Garantie für die Achtung der staat-
lichen gegeben und die Religion die festeste und im Grunde einzige zuver-
lässige Stütze der Throne sei.“
15. Mai. (Württemberg.) Der offic. „Staatsanzeiger" erklärt:
„Die Bekanntmachung des Ministeriums des Kirchen- und Schulwesens
vom 20. v. Mts. betr. die Verkündigung der Beschlüsse des vaticanischen
Concils, hat, wie hier wegen anderweitiger Auffassungen in der Presse bemerkt
wird, neben der Wahrung des Inhalts der württembergischen Gesetzgebung,
sowie des Rechts und der Verpflichtung der Regierung, jeden etwaigen Versuch
eines Uebergriffs in das staatliche Gebiet mit allen gesetzlichen — auch vor-
beugenden — Mitteln zurückzuweisen, noch die weitere Bedeutung, daß die
königl. Regierung keine Verpflichtung anerkennt, zur Durchführung der Concils-
beschlüsse den weltlichen Arm zu leihen, was für Disciplinarstrafsachen und
für die Stellung der katholisch-theologischen Facultät der Universität von Er-
heblichkeit ist. Die in den Concilsbeschlüssen gelegene Neuerung ist zwar als
eine innere kirchliche Angelegenheit der katholischen Kirche zu betrachten und
diese ihre Eigenschaft wird durch die bloße Existenz des der päpstlichen En-
cyclica von 1864 angehängten Syllabus, welcher bekanntlich bis jetzt in
Württemberg niemals verkündigt und auch nicht in den Concilsbeschlüssen ent-
halten ist, nicht geändert; bei der jedoch immerhin vorliegenden Möglichkeit
eines Mißbrauchs der in diesen Beschlüssen der kirchlichen Centralgewalt ver-
liehenen Autorität kann eine Verpflichtung der Staatsgewalt zur Mitwirkung
bei ihrer Durchführung nicht bestehen.“
16. „ (Deutsch-franz. Krieg.) Der Kaiser ratificirt den Frankfurter
Friedensvertrag mit Frankreich.
17. „ (Deutsches Reich.) Bundesrath: Der Reichskanzler läßt dem-
selben eine Präsidialvorlage betr. die Verwendung der von Frankreich
übernommenen Kriegsentschädigung zugehen.
Diese Vorlage geht davon aus, daß durch den Abschluß des definitiven
Friedens und die damit gewonnene Gewähr für die Zahlung der Kriegsent-
schädigung von Frankreich der Zeitpunkt gekommen sei, eine Entscheidung über
die Verwendung der Entschädigung zu treffen. Das Object, über welches
verfügt wird, setzt sich zusammen aus der Kriegsentschädigung von fünf
Milliarden, incl. Zinsen für die zuletzt zu zahlenden drei Milliarden, aus
der Pariser Contribution von 200 Millionen Fr., endlich aus den in Frank-
reich erhobenen Steuern, soweit sie nicht für Kriegszwecke oder die Verwaltung