Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 161
deutschen Kaiser zu bewegen, im Falle der Thronerledigung des Herzogthums
die einstweilige Regierung desselben mit allen durch die Verfassung mit der
Regierungsvormundschaft verbundenen Rechten und Pflichten bis dahin zu
übernehmen, daß ein anerkannter Thronfolger die Regierung definitiv anzu-
treten unbehindert sei.
3. Juni. (Deutsches Reich.) Reichstag: Dritte Lesung des Gesetzent-
wurfs betr. Wiedervereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem
deutschen Reich. Derselbe wird unter Ablehnung aller Gegenanträge
nach dem von der Commission mit dem Reichskanzler geschlossenen
Compromiß schließlich fast einstimmig angenommen.
Aus der Debatte. Fürst Bismarck: Ich freue mich zunächst, daß
mir die seltene Genugthuung zu Theil geworden ist, mich mit dem Vorredner
Duncker in einigen Punkten in Uebereinstimmung zu befinden, es wäre mir
sehr erwünscht, wenn dieß in mehreren geschähe, und ich will versuchen, ob ich
etwas dazu beitragen kann. Ich muß ihm zunächst widersprechen in Rücksicht
darauf, als ob meinem Auftreten bei den letzten Verhandlungen über diese
Frage nichts als Willkür oder eine gewisse Verhärtung des Willens zu Grunde
gelegen habe. Ich habe vielleicht dem Princip, welches meinem Auftreten zu
Grunde lag, keinen hinreichend klaren Ausdruck gegeben, weil mir die Masse
der Geschäfte nicht erlaubt, meine Aeußerungen so vorzubereiten, wie es meine
Achtung vor dieser Versammlung unter andern Umständen erfordern würde.
Der grundsätzliche Unterschied in unsern Ansichten liegt doch hauptsächlich
darin: daß ich finde, daß den Bedürfnissen und Wünschen der Bewohner des
Landes nach der Art, wie die Sache hier im Reichstag behandelt worden ist,
nicht in dem Maße Rechnung getragen wird, wie es zu wünschen wäre. Es
ist möglich, daß der Vorredner und andere Mitglieder dieses Hauses demselben
Gedanken, welchen ich vertrete, in der Discussion Worte gegeben haben, dar-
über werden die stenographischen Berichte Auskunft geben; aber in den Be-
schlüssen finde ich doch die Tendenz einer dauernden Bevormundung des Elsässer
Landes durch die gesammte Reichsgesetzgebung. Meines Erachtens mißver-
stehen wir uns deßhalb, weil wir nicht unterscheiden zwischen den beiden Ge-
bieten der Gesetzgebung, um die es sich hier handelt, der Reichsgesetzgebung
und der Landesgesetzgebung. Sie streben mehr nach der Einmischung des
Reichstags in die Landesgesetzgebung als ich. Ueber das Maß läßt sich ja
streiten; aber darin liegt der Unterschied. In Bezug auf die Theilnahme der
Elsässer an der Reichsgesetzgebung gehe ich viel weiter, diese könnte meines
Erachtens heute eintreten, und jedenfalls glaube ich, wenn sie im Reichstag
beantragt wird, daß die Regierungen in der Lage sein werden, Ihnen diese
Theilnahme zu einem früheren Termin als 1873 oder 1874 vorschlagen zu
können. Daß die Elsässer an der Reichsgesetzgebung theilnehmen, darin liegt
keine Rechtsbeeinträchtigung für die übrigen Mitglieder des Reichs, sondern
gewissermaßen ein vorbereitender Lehrcursus im deutschen Staatsrecht, den die
Herren hier durchmachen würden. (Heiterkeit.) Und ebenso ist es mein Wunsch,
noch früher dahin zu gelangen, daß die verbündeten Regierungen im Bundes-
rath Elsäßer Mitglieder mit consultativen Befugnissen zulassen; wir bedürfen
deren absolut, wenn wir die Geschäfte und Interessen des Landes richtig führen
wollen. Die Tendenz der Beschlüsse geht doch, meines Erachtens, dahin, dem
Reichstage die Landesgesetzgebung in Elsaß in weitem Maß und auf unbe-
stimmte Zeit hin vorzubehalten, und die Theilnahme des Reichstags an der
Elsäßer Landesgesetzgebung wo möglich noch früher eintreten zu lassen. Was
mich veranlaßt zur Vervollständigung der Dictatur und zur Verlängerung
der Periode, in welcher sie ausgeübt werden soll, ist nur das dringende Be-
dürfniß, die Landesinteressen des Elsasses und die Betheiligung seiner Bewoh-
ner an der gesetzgeberischen Behandlung dieser Landesinteressen zu vertreten.
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