166 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
10. Juni. (Deutsches Reich.) Bundesrath: Dem Beschlusse des Reichs-
tags nunmehr doch entsprechend beantragt Preußen, den durch den
Kriegsdienst geschädigten Reservisten und Landwehrmännern aus der
französischen Kriegsentschädigung 4 Mill. Thlr. zuzuwenden, ferner aber
auch eine gleiche Summe behufs Dotation verdienter Heerführer dem
Kaiser zur Verfügung zu stellen.
„ „ (Preußen.) Die Regierung lehnt neuerdings den Antrag der
westphälischen Provinzialstände auf Errichtung einer specifisch kathol.
Universität in Münster ab.
11. „ (Deutsches Reich.) Reichstag: genehmigt in dritter Lesung
ein ihm vom Bundesrath vorgelegtes Militärpensionsgesetz für das
ganze Reich.
12. „ Döllinger und Gen. (s. 30. Mai) erlassen folgende öffentl. Erklärung:
„Gegenüber den amtlichen Maßregeln und Kundgebungen der deutschen
Bischöfe zu Gunsten der vaticanischen Dekrete erachten es die Unterzeichneten
für nothwendig, durch folgende Erklärung ihren Standpunkt zu wahren und,
so viel an ihnen liegt, der hereinbrechenden Verwirrung der Gewissen ent-
gegenzutreten.
„1) Treu der unverbrüchlichen und auch von Papst und Bischöfen nicht
bestrittenen Pflicht jedes katholischen Christen, am alten Glauben festzuhalten
und jede Neuerung, würde sie auch von einem Engel des Himmels verkündet,
abzuweisen, beharren wir in der Verwerfung der vaticanischen Dogmen. Es
ist bisher nicht Lehre der Kirche und nicht katholischer Glaube gewesen, daß
jeder Christ an dem Papste einen unumschränkten Oberherrn und Gebieter
habe, welchem er direkt und unmittelbar unterworfen ist, und dem er, bei
Strafe zeitlicher und ewiger Verdammniß, in Allem, was seinen religiösen
Glauben, sowie sein sittliches Thun und Lassen betrifft, unbedingt gehorchen
muß — ihm oder seinen Sendboten und Bevollmächtigten. Deßgleichen ist es
bisher notorisch nicht Lehre der Kirche gewesen, daß einem Menschen, dem jedes-
maligen Papst, in seinen an die Kirche gerichteten Aussprüchen über den
Glauben, über die Pflichten und Rechte der Menschen die Gabe der Unfehl-
barkeit verliehen sei. Diese Sätze sind vielmehr bis jetzt bloße, wenn auch von
Rom sehr begünstigte und mit allen Herrschermitteln beschützte Schulmeinungen
gewesen, welche die angesehensten Theologen, ohne sich einem Tadel auszu-
setzen, bekämpft und verworfen haben. Es ist bekannt — und wenn die
deutschen Bischöfe es nicht wissen, so sollten sie es doch wissen — daß dieselben
Lehren ihren Ursprung der Fälschung, ihre Verbreitung dem Zwang ver-
danken. Durch diese Lehren, wie sie der Papst in seinen vatikanischen Decreten
verkündet hat, wird die Gesammtheit der Gläubigen ihrer wesentlichen Rechte
beraubt, das Zeugniß dieser Gesammtheit entwerthet, das Gewicht der kirch-
lichen Ueberlieferung entkräftet und der oberste Grundsatz des katholischen
Glaubens zerstört, daß der Christ nur Das anzunehmen verpflichtet sei, was
jederzeit, überall und von Allen gelehrt und geglaubt worden ist. Wenn gleich-
wohl der jüngste Hirtenbrief der deutschen Bischöfe behauptet: Petrus sei es,
der durch den Mund des sich für unfehlbar erklärenden Papstes gesprochen
habe, so müssen wir dieses Vorgeben als eine Blasphemie zurückweisen.
Petrus spricht klar und allgemein faßlich zu uns durch seine in der Schrift
verzeichneten Thaten und Reden und durch seine auch an uns gerichteteten
Briefe; aber diese Thaten, Reden und Briefe des Apostels athmen einen völlig
andern Geist und enthalten eine andere Lehre als die, welche uns jetzt aufge-
zwungen werden soll. Wohl hat man es versucht, diese neuen Lehren, welche
in ihrer nackten Derbheit und kaum zu berechnenden Tragweite jedes christ-