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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
gelangen soll. Auch nach dem neuen Gesetz wird der Landtag eine vollständige
Einsicht in die Rechnungsgebarung zu gewinnen nicht im Stande sein. Die
Oberrechnungskammer soll auch künftig nur Verstöße gegen das Staatshaus-
haltsgesetz, nicht auch gegen andere Gesetze mittheilen. Die Oberrechnungs-
kammer erstattet jährlich dem Könige einen gutachtlichen Bericht darüber, „ob
und inwieweit nach den aus den Rechnungen sich ergebenden Resultaten der
Verwaltung zur Beförderung der Staatszwecke im Wege der Gesetzgebung oder
der Verordnung zu treffende Bestimmungen nothwendig oder rathsam erscheinen.“
Dieser Bericht soll auch künftig dem Landtage vorenthalten werden. Endlich
ist dem Landtage jeder direkte Verkehr mit der Oberrechnungskammer abge-
schnitten, der Landtag kann sich immer nur an das Ministerium wenden. Mit
dem Material, das ihm durch dieses von der Oberrechnungskammer zugestellt
wird, muß er sich zufrieden geben. Dem Landtage ist nicht das Recht einge-
räumt, weiteres Material, Revisionsakten u. dergl., zu fordern, er bekommt
insbesondere keine wirklichen Rechnungen zu sehen. Was ihm vorgelegt wird,
ist eine nach den Titeln und Positionen des Haushaltsetats geordnete Zu-
sammenstellung des Finanzministers, deren Uebereinstimmung in der Summe
mit den aus den Cassenrechnungen gezogenen Summen von der Oberrechnungs-
kammer attestirt wird. Dazu macht die Oberrechnungskammer dann ihre
„Bemerkungen". Diesen durch Einfordern der Belege weiter nachzugehen ist
der Landtag nicht im Stande.
7. Dec. (Württemberg.) II. Kammer: Die particularistisch-democra-
tische Opposition stellt „zur Wahrung vertragsmäßiger Rechte des
württemb. Staats gegenüber der Reichsgesetzgebung“ folgenden Antrag
(sog. Antrag Oesterlen):
„In Erwägung, 1) daß die Ausdehnung der Verfassung des norddeutschen
Bundes auf Württemberg durch Vertrag vom 25. Nov. 1870 nur unter den
in Art. 2 dieses Vertrags angeführten Maßgaben zwischen den contrahirenden
Staaten vereinbart und Seitens der württembergischen Stände genehmigt
worden ist; 2) daß die durch jene Maßgaben vertragsmäßig festgesetzte Be-
schränkung der Reichsgesetzgebung nach klarem Recht und nach der Natur der
Sache nicht durch einen Akt der Reichsgesetzgebung, sondern nur vertragsmäßig
unter Zustimmung des württembergischen Staates beseitigt werden kann, was
durch das Protokoll d. d. Berlin 25. Nov. 1870 und Versailles 15. Nov. 1870
als selbstverständlich anerkannt worden ist; 3) daß die Zustimmung des württem-
bergischen Staats hiezu nach Verf.-Urk. § 85 nur mit Einwilligung der
württemb. Stände ertheilt werden kann; aus diesen Gründen und in Betracht
der Bedeutung der durch den Vertrag vom 25. Nov. 1870 Art. 2 vorbe-
haltenen Rechte für die materiellen Interessen des Landes, stellen die Unter-
zeichneten den Antrag: „Hohe Kammer wolle beschließen: I. das verfassungs-
mäßige Recht der Stände auf Zustimmung zu Abänderung des Vertrags vom
25. Nov. 1870 zu verwahren und demzufolge II. der k. Staatsregierung zu
erklären: 1) daß die Kammer eine ohne ständische Zustimmung beschlossene
Abänderung jenes Vertrags für den württemb. Staat verpflichtend nicht zu er-
kennen vermöchte, 2) daß durch einseitige Zustimmung zur Abänderung oder
Aufhebung des Vertrags vom 25. November 1870 die dafür verantwortlichen
Regierungsorgane einer Verletzung der Landesverfassung sich schuldig machen
würden.“
„ „ (Mecklenburg.) Die beiden Großherzoge erlassen an den Land-
tag Rescripte bez. der Verfassungsangelegenheit, nach welchen die so
dringende Reform immerhin auch für das nächste Jahr nicht über
Vorarbeiten der Regierung hinauskommen wird.