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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Erbrechtes werde bei den verschiedenartigen Verhältnissen nicht ohne empfind-
liche Schädigung berechtigter Interessen möglich sein. Die Annahme des An-
trags werde auch die nachtheilige Folge haben, daß, obwohl das Zustande-
kommen eines deutschen Civilgesetzbuches erst von einer entfernteren Zukunft
zu erhoffen wäre, doch schon jetzt die Thätigkeit der Landesgesetzgebungen in
allen Gebieten des Civilrechts lahm gelegt und die Abhilfe selbst empfindlicher
Mißstände im Wege der Landesgesetzgebung faktisch unmöglich gemacht werden
würde. In Betreff der Gerichtsorganisation werde allerdings die Einführung
der Reichsprozeßgesetze die Aufstellung gewisser einheitlicher Normen zur Folge
haben müssen, hiezu werde es aber einer Verfassungsänderung nicht bedürfen,
wofern das nothwendige Maß nicht überschritten würde. Es gebe viele Punkte,
welche über dieses Maß hinausfallen und doch in das Gebiet der Gerichts-
Organisation gezogen werden könnten. Die Folge würde dann sein, daß von
der den Bundesstaaten durch die Verfassung gewährleisteten Justizhoheit nichts
übrig bliebe, ein um so bedenklicherer Zustand, als in diesen Staaten die
Gerichtsorganisation im Allgemeinen mit der Organisation anderer staatlicher
Institutionen verwachsen sei. Die Minderheit theilt sowohl den formellen
Gesichtspunkt der Unangemessenheit der Verfassungsänderung schon im gegen-
wärtigen Augenblick nicht, als sie auch gegen die materiellen Bedenken der
Mehrheit Einspruch erhebt. Das Obligationen-Recht, wurde von ihr geltend
gemacht, stehe mit dem übrigen bürgerlichen Rechte in einer so engen Ver-
bindung, daß ohne Uebergriffe in das letztere eine gedeihliche Lösung der in
Nr. 13 der Reichsgesetzgebung für einzelne Zweige des Obligationen-Rechts
gestellten Aufgabe nicht möglich sei. Der Antrag gebe nur der Reichsgesetz-
gebung die zur Lösung ihrer Aufgaben erforderliche Freiheit der Bewegung,
ohne die besorgten Nachtheile praktisch herbeizuführen. Man könnte, um alle
Bedenken zu beseitigen, der Reichsgesetzgebung z. B. zwar die Zuständigkeit für
das bürgerliche Recht im Allgemeinen gewähren, von derselben aber gewisse
Rechtsmaterien ausschließen, doch sei Dieß nicht nöthig, werde auch nicht zum
Ziele führen. Eine Lahmlegung der Landesgesetzgebung durch die Ausdehnung
der Competenz der Reichsgesetzgebung sei nicht zu fürchten. An eine Codifi-
kation des bürgerlichen Rechts durch die Landesgesetzgebung sei bei dem Aus-
druck dieser Besorgniß offenbar nicht gedacht, sondern nur an die Regelung
einzelner Rechtsbeziehungen und Materien; an diese werde man aber im Falle
wirklichen und dringenden Bedürfnisses immer gehen können. Das Gebiet
der Gerichtsorganisation stehe schon jetzt dem Reiche zu, da ohne eine solche
einheitliche Organisation eine gemeinsame Civilprozeßordnung oder Strafprozeß=
ordnung gar nicht geschaffen werden könne. Schon um der Klarstellung der
Frage wegen der Competenz willen sei aber auch die Aenderung der Nr. 13,
wo der Gerichtsorganisation nicht gedacht ist, nothwendig. Auch das sei nicht
zu befürchten, daß die Reichsgesetzgebung Über das für die Lösung ihrer Auf-
gabe nöthige Maß hinausgehen werde. Es handle sich hier nicht um abstrakte
Rechtssätze und deren Aenderung, sondern um Beseitigung oder Modifizirung
konkreter Gestaltungen, wie der Gerichtsbehörden, deren große Bedeutung und
weitreichender Zusammenhang mit anderen konkreten Beziehungen des Lebens
die Bürgschaft ausreichender Kraft zum Widerstand gegen unberechtigte Ein-
wirkung der Gesetzgebung gewähre.
8. Dec. (Preußen.) Die Provinzialsynode von Schleswig-Holstein ge-
nehmigt eine neue Synodalordnung im Wesentlichen in Ueberein-
stimmung mit dem Regierungsentwurfe. Eine Amendirung derselben
von liberaler Seite zu Herbeiführung eines entschiedenen Uebergewichtes
des Laien-Elements (der übrigens der königliche Commissär nicht
principiell widerspricht) wird von der Majorität der Synode ab-
gewehrt.