Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

         Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.                     258 
Die Kammer genehmigt die Errichtung eines Landesculturraths, 
welcher aus Wahlen seitens der Landwirthe gebildet werden soll. 
23. Dec. (Bayern.) II. Kammer: genehmigt das ihr von der Regierung 
 
 
 
vorgelegte Einführungsgesetz zum deutschen Strafgesetzbuch, das schon 
mit dem 1. Jan. 1872 in Kraft treten soll. 
       Der (clericale) Abg. Ruland verliest dazu eine angeblich von sämmtlichen  
Mitgliedern der patriotisch-clericalen Partei gebilligte Erklärung: „Indem 
wir, lediglich unserem Pflichtgefühle folgend, dem unentbehrlichen Gesetze, den 
Vollzug der Einführung des deutschen Strafgesetzbuches in Bayern betreffend, 
zustimmen, wollen wir durch diese unsere Zustimmung auch nicht im Mindesten 
Dasjenige gebilligt haben, was zur Erwirkung der nachträglichen Aufnahme 
eines Artikels 130 a in dieses Gesetzbuch schwerlich zur Herstellung des inneren 
Friedens Bayerns im Bundesrathe und im deutschen Reichstage geschehen ist. 
Wir geben vielmehr unser ausdrückliches Bedauern kund, daß wir durch die 
Sachlage genöthigt sind, wenigstens indirect und mittelbar bei dem Vollzuge 
einer gesetzlichen Bestimmung mitthätig zu sein welche als solche und nach 
der Art ihrer Entstehung unserer Ueberzeugung, unseren Gesinnungen und 
Gefühlen geradehin widerstreitet. Diese Erklärung glauben wir nicht blos 
uns selbst, wir glauben sie dem ganzen Lande schuldig zu sein. Und somit 
verwerfen wir feierlich diese That des Ministeriums.“ 
27.   „ (Baden.) Das Kriegsministerium wird durch landesherrliche Ver- 
ordnung vollständig aufgehoben. 
30.   „ (Preußen.) Die Kreuzztg. schließt das Jahr mit einem Artikel 
in sehr schwermüthiger Stimmung: 
       „Heutzutage noch conservativ zu bleiben,“ meint sie, „im conservativen 
Sinne zu wirken, conservative Ziele zu verfolgen oder diese gar erreichen zu 
wollen, sei es im Reichstage oder Landtage, sei es durch die Presse, sei es auf 
politischem, kirchlichem oder socialen Gebiete, es ist das eine schwere Aufgabe, 
ein aussichtsloses und hoffnungsloses Beginnen und Bestreben, ein undankbares 
Geschäft.“ Schwer sei es, gegen den breiten Strom des Liberalismus zu 
schwimmen, wo man bereits gegen diejenigen ankämpfen müsse, „mit denen 
man nach Gottes Ordnung zusammenstehen müßte,“ und doppelt schwer, wenn 
man auch da kein Verständniß finde, wo man es erwarten durfte, vielmehr 
auch da mit Schmach und Spott überschüttet werde. Eine Position nach der 
anderen sei bereits aufgegeben; auf der abschüssigen Bahn sei kein Halten mehr. 
„Die conservativen Schaaren im Lande haben sich zusehends gelichtet und die 
conservativen Vereine haben sich auflösen müssen, weil eine Hoffnung nach der 
anderen durch die liberale Gesetzgebung zerscheiterte und man vergebens noch 
festen Fuß zu fassen suchte; die conservativen Männer im Reichstage und 
Abgeordnetenhause sind schon rar geworden; die conservative Presse verschwindet 
unter der Fluth der liberalen Erzeugnisse. Und, was das Schlimmste ist, 
man merkt es den Kämpfen oft an, daß die Kämpfer bereits den Muth ver- 
loren haben, matt geworden sind, — daß sie aussichtslos kämpfen. Zu ver- 
wundern ist das, menschlicher Weise angesehen, nicht.“ Auch ist die Forsetzung 
des Kampfes längst ein undankbares Geschäft. „Man braucht nicht gerade 
sehr empfindlich zu sein, um die Andeutung zu verstehen: „Der Mohr hat 
seine Schuldigkeit gethan; der Mohr kann gehen.“ Wer nicht alle Wege mit- 
geht, darf sich nicht wundern, wenn er mißliebig angesehen wird.“ 
„    „     (Elsaß-Lothringen.) Regierung und Bundesrath haben sich 
über die Grundzüge eines Gesetzes betr. die Verwaltungsorganisation 
in den neuen Reichslanden geeinigt.
	        
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