Oesterreich-Angarn. 263
den könnte ohne den ganzen öffentlichen Rechtszustand in ein Chaos aufzu-
lösen, ist der Boden, auf welchem die Regierung steht. Auf diesem Boden
wird sie allen berechtigten Wünschen entgegenkommen, und folgerichtig Versöh=
nung vor allem dadurch anstreben, daß sie die Staatsgrundgesetze, namentlich
Art. 19 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger,
welcher allen Volksstämmen gänzliche Gleichberechtigung gewährleistet, nicht
bloß dem Wortlaute, sondern auch dem Geiste nach zur vollen Ausführung
bringt. In allen diesbezüglichen Fragen herrscht unter den
Mitgliedern der neuen Regierung bereits ein vollständiges,
alle wesentlichen Einzelnheiten umfassendes grundsätzliches
Einverständniß. Diesem zufolge wird die Regierung selbst durch eine
Reihe von Vorlagen an den Reichsrath und, an die Landtage die Initiative
ergreifen, um den Ländern jene mögliche Erweiterung der legislativen und
administrativen Autonomie zuzuwenden, welche mit der nothwendigen, die ein-
zelnen Länder selbst schützenden Reichseinheit vereinbarlich ist. Hiebei wird auch
die directe Wahl in allen Landtagsgruppen, und die vielseitig verlangte weitere
Ausdehnung des activen Wahlrechts von der Regierung vorgeschlagen werden.
Auch über die Grundsätze, nach welchen die einzelnen Ressort-Ministerien zu
verwalten, und über die großen Aufgaben, welche in einem jedem derselben zu
lösen sind, besteht zwischen sämmtlichen Mitgliedern des jetzigen Ministeriums
völlige Uebereinstimmung. Die Regierung unterläßt es jedoch, darüber schon
jetzt vor der Oeffentlichkeit in Details einzugehen, da sie durch die That zu
bewähren gedenkt was in einem Programme nur den Werth einer Ver-
sprechung hätte. Groß ist die Aufgabe, welche von den neuen Rathgebern
der Krone übernommen wird, und groß sind die Schwierigkeiten, welche ihnen
gegenüberstehen. Diesen Schwierigkeiten werden sie jedoch jenen unbeugsamen
Muth und jenen zähen Widerstand entgegensetzen, welcher dem guten Gewissen,
klaren Wollen und der Integrität öffentlichen Handelns entspringt. Sie wissen,
daß sie hiebei auf eine in Millionen Herzen lebende österreichische Gesinnung
zählen dürfen, und sie selbst werden für die Erreichung ihres hohen Zieles
von den rechtmäßigen Befugnissen der Regierungsgewalt vollsten Gebrauch zu
machen, sowie die rückhaltslose und aufopferungsvolle Unterstützung aller Ver-
waltungsorgane in Anspruch zu nehmen wissen. So wird es dem Zusammen-
wirken der Organe der Regierung, der verfassungsmäßigen Vertretungskörper
und der gesammten Bevölkerung, gelingen einen ebenso festen wie freien
Verfassungsbau zu vollenden, welcher baldigst alle Völker der diesseitigen Reichs-
hälfte zu froher und fruchtbarer staatlicher Arbeit glücklich und friedlich
wiedervereinigt.“
Die öffentliche Meinung nimmt das neue Ministerium sofort mit dem
äußersten Mißtrauen auf. Die Presse tuft es mit Hohn das Ministerium
„Jirecek-Habietinek“ nach seinen beiden czechischen Mitgliedern. Als die Seele
desselben wird übrigens Schäffle betrachtet und von dem rücksichtslosen Bureau-
craten Hohenwart erwartet, daß er dem Reichsrath gegenüber die Rolle Bis-
marcks in der Confliktszeit zu spielen versuchen werde, ohne indeß auch nur
eine der großen Eigenschaften des deutschen Staatsmannes zu besitzen.
Ein kaiserliches Handschreiben ertheilt für alle politischen und Preß-
vergehen bis zu diesem Tage einschließlich eine Amnestie, die so zu
sagen ausschließlich den böhmischen Czechen zu Gute kommt.
10. Febr. (Oesterreich.) Der Reichsrath wird auf den 20. d. M.
wieder einberufen.
„ „ (Ungarn.) Ernennung des Prof. Pauler zum Cultus= und
Unterrichtsminister. Derselbe gehört mehr oder weniger der ultramon-
tanen Partei an.