Oesterreich-Ingarn. 295
Rechtsverwahrung des schlesischen Landtags: „Das an den
böhmischen Landtag gerichtete k. Rescript vom 11. September 1871 anerkennt
die „staatsrechtliche Stellung der Krone Böhmens“ und die „Rechte dieses
Königreiches" mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die Adressen des böhmischen
Landtages vom 14. September und 5. October 1870 und erklärt die Bereit-
willigkeit der Erneuerung dieser Anerkennung durch den Krönungseid. Nach
dem Inhalte dieser beiden Adressen und insbesondere der der ersteren anliegen-
den Denkschrift kann in dieser, ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Zustimmung
der verfassungsmäßig bestehenden gesetzgebenden Factoren geschehenen Anerken-
nung nur die Wiederherstellung veralteter, längst erloschner, mit der durch
das kaiserliche Wort wiederholt und feierlich verbürgten Verfassung des Reiches
im Widerspruche stehender Rechtszustände, sowie das Zugeständniß erblickt
werden, auf dieser Grundlage in einer directen Vereinbarung zwischen der
Krone und dem böhmischen Landtage mit einfacher Beseitigung der Verfassung
die Beziehungen des Königreiches Böhmen zum Gesammtreiche neu zu gestalten.
Durch diese Ausscheidung des Königreiches Böhmen aus dem bisher unter der
Herrschaft der Verfassung stehenden staatlichen Territorium wird der verfassungs-
mäßige Reichsrath in seiner Competenzsphäre verkümmert, dessen Existenz für
die Zukunft in Frage gestellt, dagegen die Competenz des böhmischen Land-
tages gegen die klaren Bestimmungen der Verfassung und der böhmischen
Landesordnung willkürlich erweitert und der Landtag selbst in eine constitui-
rende Versammlung verwandelt. Diese Verletzung des öffentlichen Rechtes hat
die gewaltsame Zerreißung des Jahrhunderte alten und durch die Verfassung
neuerdings verbürgten Bandes der Zusammengehörigkeit aller Deutschen Oester-
reichs zur nothwendigen Folge, überliefert insbesondere die Deutschen Böhmens
ohne Schutz czechischer Vergewaltigung und bedroht außerdem die verfassungs-
mäßige Selbstständigkeit Mährens und Schlesiens. Aber auch die auf feier-
lichen Verträgen beruhende dualistische Gestaltung des Reiches erscheint in Frage
gestellt und somit die Grundlagen der Gesammt-Monarchie erschüttert. Aus
diesen Gründen erhebt der schlesische Landtag feierlichen Protest gegen den
durch das k. Reseript vom 12. September 1871 vollzogenen Bruch der Ver-
fassung; gegen jede Vergewaltigung der deutschen Nationalität durch Preis-
gebung deutscher Minoritäten in den einzelnen Königreichen und Ländern.
Der schlesische Landtag erhebt insbesondere feierlichen Protest gegen jeden Ver-
such, das Herzogthum Schlesien außerhalb der Reichsverfassung in einen staat-
lichen Verband mit dem Königreiche Böhmen einzufügen. Der schlesische Land-
tag kann nur von dem verfassungsmäßig bestehenden Reichsrathe beschlossene
und von Sr. Majestät sanctionirte Verfassungs-Aenderungen als giltig aner-
kennen und verwahrt sich daher auch aufs feierlichste gegen die Giltigkeit aller
von dem böhmischen Landtage oder anderen verfassungswidrig einberufenen
oder zusammengesetzten Versammlungen zu fassenden, die Interessen des Reiches
und des Herzogthums Schlesien berührenden Beschlüsse.“
Rechtsverwahrung des steierischen Landtages: „Indem der
steierische Landtag erklärt, daß er die auf Grund des Diploms vom 20. Octo-
ber 1860, des Patentes vom 26. Februar 1861 und der dazu gehörigen
Landesordnung geschaffenen Staatsgrundgesetze vom 21. Dezember 1867 und
die gleichzeitig erlassenen Gesetze über die allen Ländern der österreichischen
Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten als alleinige rechtliche Grundlage der
staatsrechtlichen Gestaltung der Gesammt-Monarchie sowohl als der staats-
rechtlichen Stellung einzelner Königreiche und Länder unter einander und zum
Reiche anerkennt; indem er ferner erklärt, daß eine Aenderung dieses durch
obige Staatsgrundgesetze endgiltig geregelten staatsrechtlichen Verhältnisses nur
auf dem durch obige Gesetze vorgezeichneten verfassungsmäßigen Wege und
durch die hiezu in diesem Gesetze berufenen verfassungsmäßigen Factoren mit
Rechtswirkung erfolgen kann, daher jede einseitig und ohne Zustimmung der
nach den bestehenden Verfassungsgesetzen berufenen Reichsvertretung erfolgende