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COesterreich-Angarn.
Als charakteristisch für die Plane und Ziele der klerikalen Partei wollen
wir aus denselben einige Proben anführen. Vor allem wird vom Vorarl-
berger Landtag die Aufhebung der bestehenden Volksschulgesetze, sowie damit
im Zusammenhange verlangt, es möge der volle und ungeschmälerte Einfluß
der Kirche in der Schule und auf die Schule wiederhergestellt werden. Der
Seelsorger jedes Orts müsse eo ipso den Vorsitz im Ortsschulrathe führen
und als Schulinspector fungiren; folgerichtig stehe ihm auch das Recht zu, in
allen Fragen didaktischer oder pädagogischer Natur dem Lehrer Aufträge und
Weisungen zu ertheilen. Die Vertretung des Staats im Bezirksschulrathe
habe ganz zu entfallen; der Vorsitz in dieser Körperschaft stehe vielmehr einem
sogenannten Bezirksschulinspinctor zu, der vom Bischofe zu ernennen sei. Dieser
Bezirksschulinspector solle auch das Executivorgan des Bezirksschulrathes sein.
Die Besetzung der Landesschulinspectorstelle solle in Zukunft nicht mehr auf
Antrag des Unterrichtsministers, sondern auf Vorschlag des Landeschefs und
des Bischofs der Diöcese erfolgen; der betreffende Gesetzentwurf räumt sogar
der Stimme des letzteren ein größeres Gewicht ein, als der des Landeschefs.
Weiter will der Vorarlberger Landtag der Kirchenbehörde auch das Recht
einräumen, alle Lehrbücher und Lehrmitttel vor deren Einführung in Schulen
zu prüfen und ein Gutachten darüber abzugeben; das Lehrpersonal solle in
Bezug auf Glauben und Sittlichkeit vom Bischofe Überwacht werden. Finde
der Bischof ein Buch oder einen Lehrer bedenklich, so reiche sein Veto hin,
die Zulassung an Schulen unmöglich zu machen. In diesem Sinne solle
auch dem Landesschulrathe das definitive Lehrerernennungsrecht entzogen
werden.
7. Oct. (Oesterreich: Böhmen.) Landtag: die 30er Commission tritt
endlich mit ihrem Elaborat hervor. Es besteht in dem Entwurf einer
Adresse an den Kaiser und einer Reihe von Fundamentalartikeln, die
eine ganz neue Verfassung zunächst für das Königreich Böhmen,
im Weiteren aber für ganz Oesterreich anstatt der bisherigen inaugu-
riren sollen. Dieselben übertreffen noch weit alles, was die Deutsch-
Oesterreicher und Anhänger der bisherigen Verfassung von der czechisch-
feudal-klerikalen Majorität des böhmischen Landtags erwartet oder ge-
gefürchtet hatten. Im ersten Augenblick sind sie darüber geradezu
sprachlos vor Erstaunen. Die Forderungen der Czechen gehen im
Wesentlichen dahin:
In dem Adreßentwurf wird die Anerkennung des Uebereinkommens
mit Ungarn ausgesprochen, die Regelung der staatsrechtlichen Verhältnisse
Böhmens dargelegt und die Bitte gestellt, die unterbreiteten Fundamentalartikel,
sowie die die Nationalität und die Wahlordnung betreffenden Gesetzentwürfe
einem dieser Wahlordnung gemäß zu wählenden Krönungslandtage schon jetzt
zur Vereinbarung vorzulegen und die auf diesem Krönungslandtage erzielte
Feststellung der staatsrechtlichen Verhältnisse Böhmens in einem Majestätsbrief
dem Volke zu verkünden und unter den Schutz des Krönungseides zu stellen.
In der Adresse heißt es ferner, man habe mit herzlichem Bedauern bei der
Berathung der Vorlagen die Mitwirkung der deutschen Abgeordneten entbehrt,
aber um so mehr es für Pflicht erachtet, die Wahrung der geistigen und
materiellen Interessen der Deutschen im Auge zu halten. Der gleichfalls von
der Commission festgestellte Entwurf eines Memorandums knühft an die
pragmatische Sanction an. Derselbe erkennt den sanctionirten Ausgleich mit
Ungarn an und beantragt zur Feststellung der Grundlagen über die Stellung
des Königreichs Böhmen zu den Ländern der ungarischen Krone und den
übrigen Königreichen und Ländern folgende Fundamentalartikel, welche
als Grungesetz gelten sollen: Das Königreich Böhmen erkennt als gemeinsam