Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

Oesterreich-Angarn. 317 
Delegation der nichtungarischen Länder durch den Landtag unmittelbar 
gewählt werde. Diese Forderung widerstreitet dem Ausgleiche mit Ungarn 
umsoweniger, als nach § 29 des XII. Gesetzartikels von 1867 das Königreich 
Ungarn sich nur vorbehält, daß die Wahl der Delegation der übrigen Länder 
auf verfassungsmäßigem Wege geschehe, zudem die Mitglieder der Delegation 
auch Mitglieder jenes Vertretungskörpers sein sollen, welcher gemeinschaftlich 
mit den übrigen nichtungarischen Ländern die demselben gemeinsamen Ange- 
legenheiten zu behandeln hat. Denn wenn auch grundsätzlich jene Angelegen- 
heiten, welche in Folge des Ausgleiches mit Ungarn nicht dem ganzen Reiche 
gemeinsam sind, zur Legislation der Länder gehören sollen, so verschließt sich 
der Landtag nicht der Erkenntniß, daß es noch viele Angelegenheiten gibt, die 
sich zur Behandlung durch die einzelnen Landtage mit Rücksicht auf den mit 
den übrigen außerungarischen Ländern bestehenden Verband entweder gar nicht 
oder doch weniger eignen. 
„Der Landtag stimmt den von dem Landtage des Königreiches Böhmen 
in seinen Beschlüssen über die Fundamental-Artikel für das König- 
reich Böhmen über die künftige Gestaltung des öffentlichen Rechtes und der 
Competenz des Landtages ausgesprochenen Wünschen und Vorschlägen voll- 
ständig bei. Verbleiben dieselben Angelegenheiten, welche der Landtag des 
Königreiches Böhmen seiner Legislation vorbehalten hat, auch dem mährischen 
Landtage, während die Angelegenheiten, welche allen übrigen nichtungarischen 
Ländern gemeinsam sind, durch den Delegirten-Congreß verhandelt und ent- 
schieden würden, so wird jene Harmonie zwischen den einzelnen Reichstheilen 
und im Verhältnisse zum ganzen Reiche hergestellt werden, welche die Gewähr 
des Bestandes in sich hat. 
„Dem Landtage erübrigt noch die Erwägung der staatsrechtlichen 
Beziehungen zu den Ländern der Krone Böhmen. Das Verhältniß 
aller drei Kronländer war stets das der Coordinirung unter dem gemeinsamen 
Könige. Innerhalb dieses legitimen Bandes der Vereinigung behielt jedes 
Land seine Selbstständigkeit in der Gesetzgebung und Verwaltung. Die viel- 
fachen Beziehungen, welche zwischen den drei durch die gemeinsame Krone und 
die Gleichheit der Verhältnisse so innig verbundenen Ländern sich ergeben, 
wurden durch den gemeinsamen königlich böhmischen Hofkanzler sowol dem 
Monarchen gegenüber als unter diesen drei Ländern vermittelt. In dem Maße, 
als durch die Vereinigung der böhmischen Hofkanzlei mit den für die übrigen 
Länder bestehenden Hofkanzleien das Band gelockert worden ist, womit die 
Länder der Krone Böhmen zu einem staatsrechtlichen Organismus verbunden 
sind, mußten auch die Landtage dieser Länder jenes unmittelbaren Zusammen- 
hanges entbehren, welcher nothwendig ist, wenn sie nicht zur bloßen Ceremonie 
werden sollen, und damit namentlich deren Beschlüsse jene Würdigung finden, 
die nur durch die genaue Kenntniß der maßgebenden Verhältnisse möglich ist. 
Die centralisirenden Tendenzen der Verwaltung, welche ihren Ausdruck in der 
Schaffung der vereinigten Hofkanzleien und seit 1848 eines allen Ländern ge- 
meinsamen Ministeriums fanden, mußten sich nothwendig auf das Gebiet der 
Legislation und der parlamentarischen Vertretung im Mittelpunkte des Reiches 
üÜbertragen. Und so entstanden seit 1861 jene Gegensätze, deren nachtheiliges 
Walten der treugehorsamste Landtag geschildert hat. Soll nun der Friede 
wieder hergestellt werden, so muß der Schwerpunkt der Gesetzgebung wieder 
in die Landtage verlegt werden, damit diese die seit dem Bestande der Länder 
Überkommene unverrückbare Grundlage des öffentlichen Rechtes bleiben. Der 
königlich böhmische Hofkanzler, als das Haupt der Regierungen 
der böhmischen Kronländer, ist Eurer Majestät sowie den Landtagen 
der drei Länder verantwortlich, doch würde es der Bedeutung der Markgraf- 
schaft entsprechen, wenn an die Seite desselben ein Kanzler berufen würde, 
dem unter Verantwortlichkeit gegen Eure Majestät und den mährischen Landtag 
vorzugsweise die Angelegenheiten des Landes Mähren zur Besorgung über-
	        
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