Trankreich. 957
schiedener Umschwung der Stimmung statt, der dem Widerstande
Gambetta's gegen die Pariser Regierung den Boden entzieht.
4. Febr. Ein Decret der Pariser Regierung annullirt das Wahlausschließungs-
decret Gambetta's und der Delegation in Bordeaux. Jules Simon
verkündet es in Bordeaux durch Proclamation. Die Delegation in
Bordeaux beschließt, vorerst auf ihrem Decret zu beharren und schickt
eines ihrer Mitglieder nach Paris, um den wahren Sachverhalt zur
Kenntniß der Pariser Regierung zu bringen.
Proclamation Napoleon's aus Wilhelmshöhe:
ü„Franzosen! Vom Glücke verlassen, habe ich seit meiner Gefangennahme jenes
tiefe Stillschweigen beobachtet, welches die Trauer des Unglücks ist. Solange sich
die Armeen gegenüberstanden, habe ich mich eines jeden Schrittes, jedes Wortes
enthalten, welches Zwiespalt hätte hervorrufen können. Heute, bei dem tiefen Un-
glücke des Landes, kann ich mich nicht länger in Schweigen hüllen, ohne gefühllos
für seine Leiden zu erscheinen. In jenem Augenblick, als ich gezwungen war,
mich gefangen zu geben, konnte ich in keine Verhandlungen über den Frieden
eintreten. Da ich nicht frei war, so hätte es den Anschein gewonnen, als seien
meine Entschließungen durch persönliche Rücksichtnahme dictirt. Ich überließ
der Regentschaft, welche sich in Paris inmitten der Kammern befand, die Pflicht
zu entscheiden, ob das Interesse der Nation die Fortsetzung des Kampfes er-
heische. Trotz unerhörter Unglücksfälle war Frankreich nicht besiegt; unsere
festen Plätze standen noch aufrecht, Paris war im Zustande der Vertheidigung,
der weiteren Ausdehnung der Unglücksfälle konnte Einhalt gethan werden.
Aber während alle Blicke gegen den Feind gerichtet waren, brach in Paris
die Insurrection aus. Die Volksvertretung wurde vergewaltigt, die Kaiserin
bedroht. Eine Regierung installirte sich durch Ueberraschung auf dem Stadt-
haus und das Kaiserreich, welchem die Nation so eben zum drittenmal ihre
Zustimmung gegeben hatte, wurde durch diejenigen gestürzt, welche berufen
waren, es zu dertheidigen. Meinen gerechten Unmuth unterdrückend, rief ich
mir zu: Was liegt an der Dynastie, wenn das Vaterland gerettet werden
kann? und anstatt gegen die Verletzung des Rechts zu protestiren, richtete ich
meinen heißesten Wunsch auf den Erfolg der nationalen Vertheidigung. Die
patriotische Hingebung, welche alle Classen, alle Parteien bewiesen, erfüllte mich
mit Bewunderung. Aber jetzt, wo der Kampf unterbrochen und die Haupt-
stadt nach heldenmüthigem Widerstand gefallen ist, wo jede vernünftige Aussicht
auf Sieg verschwunden ist, jetzt ist es Zeit von jenen, welche die Gewalt usurpirt
haben, Rechenschaft zu verlangen für das unnöthig vergossene Blut, für die
aufgehäuften Ruinen, für die verschleuderten Hilfsquellen des Landes. Das
Schicksal Frankreichs kann nicht einer Regierung ohne Mandat überlassen wer-
den, welche, indem sie die Verwaltung desorganisirte, nicht eine einzige jener
Autoritäten bestehen ließ, welche ihren Ursprung dem allgemeinen Stimmrecht
verdankten. Eine Nation kann einer Regierung nicht lange Gehorsam leisten,
welche kein Recht hat zu befehlen. Die Ordnung, das Vertrauen, ein sicherer
Friede werden nur dann erzielt, wenn das Volk befragt worden ist
über jene Regierung, welche am meisten befähigt ist, das Vaterland von seinen
Leiden zu befreien. Unter den feierlichen Umständen, in welchen wir uns be-
befinden, ist es nöthig, daß Frankreich eins sei in seinen Bestrebungen,
Wünschen und Entschließungen. Dieß ist das Ziel, welches alle guten Bürger
bestrebt sein müssen zu erreichen. Was mich anbelangt, gebeugt durch so viele
Ungerechtigkeiten und bittere Enttäuschungen, so will ich nicht jene Rechte in
Anspruch nehmen, welche ihr viermal in zwanzig Jahren mir freiwillig über-
truget. Angesichts unsers Unglücks ist kein Raum für persönlichen Ehrgeiz;
aber solange nicht das Volk in regelmäßigen Wahlen versammelt seinen