Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

Rom. 423 
in der poltitischen Ordnung ausgerüstet wäre, sich auch nicht mehr, mag man 
seine Person oder die Acte des Apostolischen Amtes ins Auge fassen, dem 
Willen des Herrschers, dem er unterstände, und der sogar ein Irrgläubiger 
oder ein Verfolger der Kirche oder im Krieg oder Kriegszustande mit anderen 
Fürsten sein könnte, zu entziehen vermöchte. Und in der That, ist nicht selbst 
diese Concession der Bürgschaften, von denen Wir sprechen, an sich ein klares 
Document, daß man Uns, denen von Gott die Autorität verliehen worden ist, 
Gesetze zu geben, welche die moralische und religiöse Ordnung betreffen, und 
die Wir als Ausleger des natürlichen und göttlichen Rechtes in der ganzen 
Welt bestellt sind, Gesetze auferlegt, und solche Gesetze, die auf die Regierung 
der ganzen Kirche sich beziehen, und für deren Erhaltung und Ausführung 
es kein anderes Recht gibt, als was der Wille der Laiengewalten vorschreibt 
und festsetzt! Was das Verhältniß zwischen der Kirche und der weltlichen 
Gesellschaft betrifft, so wisset ihr sehr gut, ehrwürdige Brüder, daß Wir alle 
zur Leitung der gesammten Kirche nothwendigen Prärogative und alle Rechte 
der Autorität in der Person des heil. Petrus von Gott direct selbst empfangen 
haben, so wie daß jene Prärogative und Rechte und die Freiheit der Kirche 
selbst mit dem Blute Jesu Christi erkauft und erworben worden, und nach 
dem unendlichen Werthe seines göttlichen Blutes zu schätzen seien. Wir würden 
Uns daher, was ferne sei, um das göttliche Blut Unseres Erlösers gar schlecht 
verdient machen, wenn Wir diese Unsere Rechte, namentlich so vermindert und 
geschändet, wie man sie Uns jetzt übergeben möchte, von den Fürsten der Erde 
annehmen würden. Denn Söhne, nicht Herren der Kirche sind die christlichen 
Fürsten... Das alles, wie Wir müssen, bedenkend und erwägend, sind Wir 
abermals zu bestätigen und standhaft zu bekennen genöthigt, was Wir wieder- 
holt mit eurer einmüthigen Zustimmung erklärt haben, nämlich daß die welt- 
liche Herrschaft des heiligen Stuhles dem römischen Papste durch einen 
besonderen Rathschluß der göttlichen Vorsehung verliehen, und daß sie noth- 
wendig sei, damit der römische Papst, nie einem Fürsten oder einer weltlichen 
Gewalt unterworfen, die von Christus dem Herrn selbst empfangene oberste 
Gewalt und Autorität, die ganze Heerde des Herrn zu weiden und zu leiten, 
in der ganzen Kirche mit vollster Freiheit ausüben und für das Beste, für 
den Nutzen und die Bedürfnisse der Kirche sorgen könne. Gebe Gott, daß 
die Fürsten der Erde, denen am meisten daran gelegen sein muß, daß 
nicht ein solches Beispiel der Vergewaltigung, wie Wir sie erdulden, zum Ver- 
derben jeder Gewalt und Ordnung gegeben werde und fortbestehe, alle mit 
übereinstimmendem Herzen und Willen sich verbinden und nach Beseitigung 
der Zwietracht, nach Beilegung der Wirren des Aufruhrs und nach Vereitelung 
der verderblichen Anschläge der Secten, gemeinsam bemüht sein mögen, daß 
diesem heiligen Stuhl seine Rechte und mit ihm dem sichtbaren Haupte der 
Kirche seine volle Freiheit und der bürgerlichen Gesellschaft die ersehnte Ruhe 
wieder gegeben werde. 
16. Juni. Feier des seit Petrus beispiellosen 25jährigen Jubiläums Pius IX. 
als Papstes. An der großen kirchlichen Ceremonie im St. Peter 
nimmt der Papst nicht Theil, dagegen empfängt er an diesem und 
den folgenden Tagen eine endlose Reihe von Deputationen aus allen 
Gegenden der Welt, die ihm zum Theil auch reiche Geschenke dar- 
bringen. Die kath. Fürsten schicken zur Beglückwünschung eigene Ge- 
sandte an ihn; derjenige des Königs von Italien wird indeß nur von 
Antonelli, nicht aber vom Papste selbst empfangen. 
20. Juli. Erklärung des Papstes über die Tragweite der Unfehlbarkeit. 
Sie erfolgt gegenüber einer von dem Kardinal Asquini geführten Depu- 
tation der Akademie der katholischen Religion, die vielleicht gerade zu dem
	        
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