Full text: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

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                        Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
sprechungen im Ministerrathe die Ueberzeugung ergeben, daß ein engerer und 
ein weiterer Bund Niemand befriedigen werde; man sei daher bei Anstrebung 
einer gemeinsamen Verfassung stehen geblieben, dabei sei jedoch der Nicht- 
eintritt in den bisherigen norddeutschen Bund und die Erstrebung wesentlicher 
Abänderungen Voraussetzung geblieben. Man habe mit Delbrück die Fest- 
stellung allgemeiner Gesichtspunkte versucht, dieser sei jedoch darauf nicht ein- 
gegangen, habe vielmehr erklärt, daß seines Ermessens von einem Aufgeben 
Dessen, was man mit dem nordd. Bunde erreicht habe, keine Rede sein könne. 
Mit Abschluß eines weiteren Bundes seien auch die übrigen Südstaaten nicht 
einverstanden gewesen. Uebrigens seien doch in Versailles wesentliche Ab- 
änderungen erreicht worden. Eine Vergewaltigung sei von Seite Preußens 
im Falle der Nichtannahme der Verträge nicht zu besorgen. Das bayrische 
Militärbudgetrecht sei von Anfang der Verhandlungen an wegen der gleichen 
Verpflichtung sämmtlicher Bundesglieder nicht haltbar gewesen. Graf Bray: 
Dr. Schüttinger habe ihn an seine Aeußerung über die unangreifbare Lage 
Bayerns erinnert. Die Lage Europa's habe sich inzwischen verändert, dessen- 
ungeachtet sei jene Erklärung heute noch zutreffend; durch fremde Soldaten 
würden wir nicht zur Annahme gedrängt, sondern durch den Druck der inneren 
Verhältnisse, durch diesen werde die Stellung der Regierung eine sehr schwierige. 
Die Initiative sei von der bayr. Regierung nur ergriffen worden, um die 
Absichten der preuß. kennen zu lernen, ob diese geneigt sei, die nordd. Ver- 
fassung abzuändern. Zu den Verhandlungen in Versailles sei die Initiative 
von Württemberg ausgegangen, worauf denn auch an die bayr. Regierung 
Einladung zur Theilnahme erfolgt sei; diese habe sich nun betheiligen müssen, 
um nicht vollendeten Thatsachen gegenüber gestellt zu werden. Dr. v. Weis 
stellt den Antrag auf eine Adresse an den König wegen Abänderung der Ver- 
träge und trägt zu dessen Begründung vor: Wenn man die Verträge bloß 
an und für sich auffasse, könne ein Zweifel nicht aufkommen, daß sie nicht 
zum Wohle Bayerns und Deutschlands gereichten. Man müsse aber auch die 
allgemeine politische Lage ins Auge fassen und nach Abwägung der Vortheile 
und Nachtheile sich fragen, ob Ablehnung oder Annahme das größere Uebel 
sei. Es sei zu befürchten, daß wir am Anfange größerer Kriege stünden. 
Die Verträge selbst müßten die Kriegsfurcht vermehren, weil sie die übrigen 
Staaten zu einer Koalition zwängen. Ein Theil der Gefahr der Ablehnung 
liege darin, daß unsere Regierung die Initiative ergriffen habe und so weit 
gegangen sei; das Beklagenswertheste sei die Lage, in welche das Haupt unseres 
Staates gebracht worden sei. Dadurch sei die Frage entstanden, ob es nicht 
möglich sei, zur Abwendung dieser Gefahren den Verträgen zuzustimmen. Er 
sei zu dem Resultate gekommen, es sei der Versuch zu wagen, jene Be- 
stimmungen zu beseitigen, welche die Verträge vorzugsweise unannehmbar 
machten. Nach der Lage der Dinge könne aber nur direkt mit dem Könige 
gesprochen werden. Sein schließliches Votum über Annahme oder Verwerfung 
der Verträge behalte er sich vor. Jörg: Die Form einer Adresse habe er 
früher selbst in Erwägung gezogen, und es habe dieser Gedanke seinem 
monarchischen Gefühle wohlgethan, allein seit 8 Tagen habe sich die Lage 
verändert, es sei auf die den Verträgen abgeneigten Abgeordneten eine der 
konstitutionellen Freiheit abträgliche Pression geschehen, es sei auch inzwischen 
das durch alle Blätter veröffentlichte kgl. Schreiben an den Minister v. Lutz 
erfolgt. Durch eine Adresse könne jetzt die Kammer in Opposition mit diesen 
Thatsachen gerathen. Zu den Verträgen „Nein“ zu sagen, hätten wir ein 
gutes Recht, durch dieses „Nein“ appellire man von einem mangelhaft unter- 
richteten König an einen besser zu unterrichtenden. Graf Bray: Die vertrag- 
schließenden Regierungsorgane könnten selbstverständlich nicht in neue Verhandlungen 
eintreten. v. Lutz: Es sei die letzte Kraft aufgeboten worden, um Das zu erreichen, 
was in dem vorliegenden Antrage vorgeschlagen sei, aber vergebens, um mehr 
zu erlangen. Das kgl. Handschreiben sei ohne seine Veranlassung in die Oeffent-
	        
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