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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
sprechungen im Ministerrathe die Ueberzeugung ergeben, daß ein engerer und
ein weiterer Bund Niemand befriedigen werde; man sei daher bei Anstrebung
einer gemeinsamen Verfassung stehen geblieben, dabei sei jedoch der Nicht-
eintritt in den bisherigen norddeutschen Bund und die Erstrebung wesentlicher
Abänderungen Voraussetzung geblieben. Man habe mit Delbrück die Fest-
stellung allgemeiner Gesichtspunkte versucht, dieser sei jedoch darauf nicht ein-
gegangen, habe vielmehr erklärt, daß seines Ermessens von einem Aufgeben
Dessen, was man mit dem nordd. Bunde erreicht habe, keine Rede sein könne.
Mit Abschluß eines weiteren Bundes seien auch die übrigen Südstaaten nicht
einverstanden gewesen. Uebrigens seien doch in Versailles wesentliche Ab-
änderungen erreicht worden. Eine Vergewaltigung sei von Seite Preußens
im Falle der Nichtannahme der Verträge nicht zu besorgen. Das bayrische
Militärbudgetrecht sei von Anfang der Verhandlungen an wegen der gleichen
Verpflichtung sämmtlicher Bundesglieder nicht haltbar gewesen. Graf Bray:
Dr. Schüttinger habe ihn an seine Aeußerung über die unangreifbare Lage
Bayerns erinnert. Die Lage Europa's habe sich inzwischen verändert, dessen-
ungeachtet sei jene Erklärung heute noch zutreffend; durch fremde Soldaten
würden wir nicht zur Annahme gedrängt, sondern durch den Druck der inneren
Verhältnisse, durch diesen werde die Stellung der Regierung eine sehr schwierige.
Die Initiative sei von der bayr. Regierung nur ergriffen worden, um die
Absichten der preuß. kennen zu lernen, ob diese geneigt sei, die nordd. Ver-
fassung abzuändern. Zu den Verhandlungen in Versailles sei die Initiative
von Württemberg ausgegangen, worauf denn auch an die bayr. Regierung
Einladung zur Theilnahme erfolgt sei; diese habe sich nun betheiligen müssen,
um nicht vollendeten Thatsachen gegenüber gestellt zu werden. Dr. v. Weis
stellt den Antrag auf eine Adresse an den König wegen Abänderung der Ver-
träge und trägt zu dessen Begründung vor: Wenn man die Verträge bloß
an und für sich auffasse, könne ein Zweifel nicht aufkommen, daß sie nicht
zum Wohle Bayerns und Deutschlands gereichten. Man müsse aber auch die
allgemeine politische Lage ins Auge fassen und nach Abwägung der Vortheile
und Nachtheile sich fragen, ob Ablehnung oder Annahme das größere Uebel
sei. Es sei zu befürchten, daß wir am Anfange größerer Kriege stünden.
Die Verträge selbst müßten die Kriegsfurcht vermehren, weil sie die übrigen
Staaten zu einer Koalition zwängen. Ein Theil der Gefahr der Ablehnung
liege darin, daß unsere Regierung die Initiative ergriffen habe und so weit
gegangen sei; das Beklagenswertheste sei die Lage, in welche das Haupt unseres
Staates gebracht worden sei. Dadurch sei die Frage entstanden, ob es nicht
möglich sei, zur Abwendung dieser Gefahren den Verträgen zuzustimmen. Er
sei zu dem Resultate gekommen, es sei der Versuch zu wagen, jene Be-
stimmungen zu beseitigen, welche die Verträge vorzugsweise unannehmbar
machten. Nach der Lage der Dinge könne aber nur direkt mit dem Könige
gesprochen werden. Sein schließliches Votum über Annahme oder Verwerfung
der Verträge behalte er sich vor. Jörg: Die Form einer Adresse habe er
früher selbst in Erwägung gezogen, und es habe dieser Gedanke seinem
monarchischen Gefühle wohlgethan, allein seit 8 Tagen habe sich die Lage
verändert, es sei auf die den Verträgen abgeneigten Abgeordneten eine der
konstitutionellen Freiheit abträgliche Pression geschehen, es sei auch inzwischen
das durch alle Blätter veröffentlichte kgl. Schreiben an den Minister v. Lutz
erfolgt. Durch eine Adresse könne jetzt die Kammer in Opposition mit diesen
Thatsachen gerathen. Zu den Verträgen „Nein“ zu sagen, hätten wir ein
gutes Recht, durch dieses „Nein“ appellire man von einem mangelhaft unter-
richteten König an einen besser zu unterrichtenden. Graf Bray: Die vertrag-
schließenden Regierungsorgane könnten selbstverständlich nicht in neue Verhandlungen
eintreten. v. Lutz: Es sei die letzte Kraft aufgeboten worden, um Das zu erreichen,
was in dem vorliegenden Antrage vorgeschlagen sei, aber vergebens, um mehr
zu erlangen. Das kgl. Handschreiben sei ohne seine Veranlassung in die Oeffent-