Mebersicht der Ereignisse des Tahres 1871. 479
ganzen Feldzugs, im Jahr 1794 die Räumung Belgiens durch die Oester-
reicher und 1795 den Sonderfrieden mit Preußen verursachte, d. h. also
die Heere der alten Monarchieen in derselben Zeit aus dem Kampfe mit
Frankreich hinwegzog, da dieses erst wirkliche Heere unter wirklichen Ge-
neralen gewann — von all dem erfährt die Jugend dieses Landes nichts.
Dieser Aberglaube an die militärische Unbesiegbarkeit der Revolution als
solcher, an den unwiderstehlichen, Wunder wirkenden Zauber der Republik
war in Gambetta allmächtig geworden und wie sehr er dadurch mit den
stärksten moralischen Triebfedern seines Volks zusammentraf, das bewies sein
Erfolg. Er electrisirte die Empfindungen der Massen, als er am 9. Okt.
von Tours aus den Departements zurief: „Man muß alle unsere Hilfs-
mittel in Bewegung bringen, die unermeßlich sind; man muß die ländliche
Schläfrigkeit abschütteln, dem thörichten panischen Schrecken entgegenwirken,
den kleinen Krieg vertausendfachen, der Kriegslist mit Kriegslist begegnen,
dem Feinde keine Ruhe lassen, den nationalen Krieg eröffnen. Die Republik
fordert die Mitwirkung Aller. Sie wird jeden Muth nützlich machen, jedes
Talent verwerthen. Sie wird ihrer Ueberlieferung gemäß junge Generale
erzeugen. Der Himmel wird aufhören, unsere Gegner zu begünstigen. Es
ist nicht möglich, daß der Genius Frankreichs sich für immer verhülle, daß
die große Nation ihren Platz in der Welt sich nehmen lasse durch eine In-
vasion von 500,000 Menschen. Erheben wir uns in Masse, sterben wir
eher, als daß wir die Schande einer Gebietsverstümmelung ertragen. Ueber
alle unsere Unfälle hinaus bleibt noch das Gefühl der französischen Einheit,
der Untheilbarkeit der Republik.“ Der Glaube an Frankreich war's, der
aus diesen Worten redete, mit all seinen Illusionen, mit all seiner Ver-
blendung, aber auch mit all seiner verführerischen Gewalt über das Herz
dieses eitlen Volks. Wir dürfen das nicht vergessen über den erlogenen
Siegesdepeschen, den zahllosen Windbeuteleien, durch die Gambetta bei uns
sich lächerlich machte und eben so wenig über dem ruchlosen Fanatismus,
den er dem Bandenkrieg der Freischaaren einhauchte, zum größten Schaden
seines eigenen Landes; die Franzosen in ihrer Masse fanden weder Jenes
thöricht, noch dieses ungerecht. Das zeigt der stumme Gehorsam, mit dem sie den
Befehlen des Advokaten zu Tours sich unterwarfen, um zu zahlen, wie sie
nie gezahlt, um zu opfern, was nie von ihnen verlangt worden war. Was
rastlose, nie ermüdende Energie vermag, um in einem des Waffendienstes
gänzlich entwöhnten Volke mittelst allgemeiner Wehrpflicht bis zum 35. und
40. Jahre gewaltige Heere aus dem Boden zu stampfen, die trotz mangel-