Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 47
die Geldfrage als Alles entscheidend in den Vordergrund. Aber er weiß,
welche Lasten das bayerische Volk jetzt schon mit Mühe trägt, und vermag
sehr wohl zu würdigen, welch dringende Rücksichten die Regierung geleitet
haben, wenn sie, nach der Versicherung des Hrn. v. Lutz, noch zur Zeit der
September-Verhandlungen „„mit ganz entschiedenem Gewichte die Unmöglichkeit
betonte, ein so hohes Militärbudget für das Land zu übernehmen, wie es die
norddeutsche Bundesverfassung den einzelnen Staaten auflegt.““ Wenn aber
Se. Exc. uns darauf vertröstet, das bayerische Volk habe nun das Recht,
durch seine Abgeordneten im Reichstag den Militärlasten gegenüber seine
Stimme zu erheben, dann erscheint Dieß leider gegenüber der Thatsache, daß
bei den Versailler Verhandlungen eine wesentliche Aenderung der Art. 5, 37,
59, 60 (letztere beide enthalten die Grundlagen der Militärorganisation) nicht
erzielt werden konnte, nur als ein sehr schwacher Trost. Ein schweres Präjudiz
ergibt sich aber auch für die constitutionellen Rechte der Einzelländer aus einer
fast befremdenden Lücke, welche bei dem Art. 78 und in der Deklaration
bezüglich der besonderen Rechte im Verhältnisse einzelner Bundesstaaten, ins-
besondere Bayerns, zur Gesammtheit in die Augen fällt. Die letztgedachten
Bestimmungen können nur mit Zustimmung der „berechtigten Bundesstaaten“
abgeändert werden. Allein nirgends ist festgestellt, ob und wie weit die frag-
lichen Voten der Bundesrathsmitglieder an die Zustimmung der gesetzgebenden
Faktoren der Einzelländer gebunden sein sollen oder nicht. . . . Eine ausdrück-
liche Festsetzung über das Verhältniß der Bundesrathsbeschlüsse zu den constitu-
tionellen Rechten der Einzelländer wäre aber um so mehr erforderlich gewesen,
als vor wenig mehr als einem Jahre sowohl im preußischen Abgeordneten-
hause als im preußischen Herrenhause die Bundes= und resp. preußische Regier-
ung sich für eine Auffassung und Interpretation des früheren Art. 78 ent-
schieden hat, welche das constitutionelle Recht der Einzelländer dem Belieben
der im Bundesrathe vertretenen Regierungen, der eigenen sowohl als der
fremden, wehrlos preisgeben würde. . . . Allein schon der Art. 7 in seinen
Zusammenhängen und seinen Consequenzen müßte die Annahme der Verfassung
für Bayern schlechthin unthunlich machen. Referent würde sich freuen, wenn
sich die Möglichkeit zeigen würde, durch neue Verhandlungen diejenigen wesent-
lichen Aenderungen zu erzielen, welche geeignet wären, sowohl im Allgemeinen
den Bestimmungen der Bundesverfassung die Hinneigung zum Einheitsstaate
zu benehmen, als insbesondere die Artikel 7, 5, 37, 59, 60, 78 in der ange-
deuteten Richtung zu korrigiren, beziehungsweise auszumerzen. Referent täuscht
sich darüber nicht, daß auch in diesem Falle der Beitritt Bayerns nicht unbe-
denklich wäre. Die Sicherheit in jedem Bundesverhältnisse, in das wir ein-
treten könnten, hat aufgehört, seitdem nicht mehr zwei große Mächte in dem
Verbande sich das Gleichgewicht halten. Ueberdieß haben die Annexionen von
1866 nicht nur das natürliche Uebergewicht Preußens sehr vermehrt, sondern
auch den militärstaatlichen Character dieser Macht entschiedener als je aus-
geprägt. Es ist und bleibt ein gewaltiger Militärstaat nicht bloß der ge-
schriebenen Verfassung nach, sondern mehr noch nach seiner durch Generationen
eingewohnten Lebensform, mit dem wir das engste Bundesverhältniß eingehen
sollen; und welche Folgen schon die bloß völkerrechtliche Verbindung des
Allianzvertrages für das Selbständigkeitsgefühl unseres Landes gehabt hat,
das zeigen die Verhandlungen in Versailles und München. Trotzdem würde
Referent den Umständen Rechnung tragen und Modificationen in dem vorhin
bezeichneten Sinne gerne zur Annahme empfehlen. Aber seine Hoffnung ist
sehr gering, daß die Regierung den Weg neuer Verhandlungen auf Grund
der angedeuteten Modificationen sollte betreten wollen oder können. Wenn
nicht Alles täuscht, so sind die Vertreter der Regierung in Versailles vor die
unabänderliche Alternative gestellt worden, entweder in den Bund einzutreten,
wie er jetzt verfaßt ist, oder draußen zu bleiben. Es bleibt demnach nichts
übrig, als den Wunsch auszusprechen, die Regierung möge sich in die Lage