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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
seine eigene Selbständigkeit in Anspruch nimmt, zollt es bereitwillig der Un-
abhängigkeit aller anderen Staaten und Völker, der schwachen wie der starken.
Das neue Deutschland, wie es aus der Feuerprobe des gegenwärtigen Krieges
hervorgegangen ist, wird ein zuverlässiger Bürge des europäischen
Friedens sein, weil es stark und selbstbewußt genug ist, um
sich die Ordnung seiner eigenen Angelegenheiten als sein
ausschließliches, aber auch ausreichendes und zufrieden-
stellendes Erbtheil zu bewahren. Es hat mir zur besonderen Genug-
thuung gereicht, in diesem Geiste des Friedens inmitten des schweren Krieges,
den wir führten, die Stimme Deutschlands bei den Verhandlungen geltend
zu machen, welche auf der durch die vermittelnden Bestrebungen meines aus-
wärtigen Amtes herbeigeführten Conferenz in London ihren befriedigenden
Abschluß gefunden haben. Der ehrenvolle Beruf des ersten deutschen Reichs-
tags wird es zunächst sein, die Wunden nach Möglichkeit zu heilen, welche
der Krieg geschlagen hat, und den Dank des Vaterlandes Denen zu bethätigen,
welche den Sieg mit ihrem Blute und Leben bezahlt haben. Gleichzeitig
werden Sie, geehrte Herren, die Arbeiten beginnen, durch welche die Organe
des deutschen Reiches zur Erfüllung der Aufgabe zusammenwirken, welche die
Verfassung ihnen stellt: zum Schutze des in Deutschland giltigen Rechts und
zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes. Die Vorarbeiten für die
regelmäßige Gesetzgebung haben leider durch den Krieg Verzögerungen und
Unterbrechungen erlitten; die Vorlagen, welche Ihnen zugehen werden, leiten
sich daher unmittelbar aus der neuen Gestaltung Deutschlands ab. Die in
den einzelnen Verträgen vom November vor. Js. zerstreuten Verfassungsbe-
stimmungen sollen in einer neuen Redaction der Reichsverfassung ihre geord-
nete Zusammenstellung und ihren gleichmäßigen Ausdruck finden. Die Be-
theiligung der einzelnen Bundesstaaten an den laufenden Ausgaben des Reiches
bedarf der gesetzlichen Regelung; für die von der königlich bayrischen Re-
gierung beabsichtigte Einführung der norddeutschen Gesetze in Bayern wird
Ihre Mitwirkung in Anspruch genommen werden. Die Verfügung über die
von Frankreich zu leistende Kriegskosten-Entschädigung wird nach Maßgabe
der Bedürfnisse des Reiches und der berechtigten Ansprüche seiner Mitglieder
mit Ihrer Zustimmung getroffen und die Rechenschaft über die zur Krieg-
führung verwendeten Mittel Ihnen so schleunig vorgelegt werden, als es die
Umstände gestatten. Die Lage der für Deutschland rückerworbenen Gebiete
wird eine Reihe von Maßregeln erheischen, für welche durch die Reichsgesetz-
gebung die Grundlagen zu schaffen sind. Ein Gesetz Über die Pensionen der
Offiziere und Soldaten und über die Unterstüung ihrer Hinterbliebenen soll
für das gesammte Heer die Ansprüche gleichmäßig regeln, welche der gleichen
Hingebung für das Vaterland an den Dank der Nation zustehen. Geehrte
Herren! Möge die Wiederherstellung des deutschen Reiches für die deutsche
Nation auch nach innen das Wahrzeichen neuer Größe sein, möge dem deut-
schen Reichskriege, den wir so ruhmreich geführt, ein nicht minder glorreicher
Reichsfrieden folgen, und möge die Aufgabe des deutschen Volkes
fortan darin beschlossen sein, sich in dem Wettkampfe um die-
Güter des Friedens als Sieger zu erweisen. Das walte Gott!“
21. März. (Preußen.) Der Bundeskanzler, Graf Bismarck, wird in den
Fürstenstand erhoben.
22. „ (Bayern.) Das Cultusministerium verweigert dem Erzbischof von
Bamberg, dem einzigen Kirchenfürsten des Landes, der darum nach-
sucht, das kgl. Placet zur Verkündigung der Beschlüsse des Vaticanischen
Concils:
„ . . . . Von durchschlagender Bedeutung ist dagegen der Umstand, daß
durch die bezeichnete dogmatische Constitution und die aus derselben sich er-