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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Allgewalt und Unfehlbarkeit des Papstes erkläre. Zugleich wird versichert
daß in naher Zeit wieder eine Zusammenkunft und Berathung deutscher Bi-
schöfe zu Fulda stattfinden werde. Als im Jahre 1848 eine Versammlung
aller deutschen Bischöfe zu Würzburg gehalten wurde, erwies man mir die
Ehre, mich zu derselben einzuladen, und nahm ich an den dort gepflogener
Verhandlungen Theil. Vielleicht könnten nun Eure Excellenz veranlassen, daß
auch auf dieser bevorstehenden Versammlung mir, nicht etwa eine Theilnahme
an den Berathungen, sondern nur ein geneigtes Gehör für wenige Stunden
bewilligt würde. Ich bin nämlich erbötig, vor der hohen Versammlung fol-
gende Sätze zu erweisen, welche für die gegenwärtige Lage der deutschen Kirche
und für meine persönliche Stellung von entscheidender Wichtigkeit sein dürften
Erstens: Die neuen Glaubensdecrete stützen sich zur Begründung aus der
heiligen Schrift auf die Stellen Matth. 16, 18, Joh. 21, 17 und, was die
Unfehlbarkeit betrifft, auf die Stelle Lukas 22, 32, mit welcher dieselbe,
biblisch angesehen, steht und fällt. Wir sind nun aber durch einen feier-
lichen Eid, welchen ich zweimal geleistet habe, verpflichtet, die heil. Schrift
„nicht anders, als nach dem einstimmigen Consensus der Väter anzunehmen
und auszulegen.“ Die Kirchenväter haben alle, ohne Ausnahme, die frag-
lichen Stellen in einem von den neuen Decreten völlig verschiedenen Sinn
ausgelegt, und namentlich in der Stelle Lukas 22, 32 nichts weniger als
eine allen Päpsten verliehene Unfehlbarkeit gefunden. Demnach würde ich,
wenn ich mit den Decreten diese Deutung, ohne welche dieselben des biblischen
Fundaments entbehren, annehmen wollte, einen Eidbruch begehen. Dieß vor
den versammelten Bischöfen darzuthun, bin ich, wie gesagt, bereit. Zweitens:
In mehreren bischöflichen Hirtenbriefen und Kundgebungen aus der jüngsten
Zeit wird die Behauptung entwickelt, oder der geschichtliche Nachweis versucht,
daß die neue zu Rom verkündigte Lehre von der päpstlichen Allgewalt Über
jeden einzelnen Christen und von der päpstlichen Unfehlbarkeit in Glaubens-
entscheidungen in der Kirche von Anbeginn an durch alle Jahrhunderte hin-
durch und immer allgemein, oder doch beinahe allgemein, geglaubt und ge-
lehrt worden sei. Diese Behauptung beruht, wie ich nachzuweisen bereit bin,
auf einer vollständigen Verkennung der kirchlichen Ueberlieferung im ersten
Jahrtausend der Kirche und einer Entstellung ihrer Geschichte; sie steht im
Widerspruche mit den klarsten Thatsachen und Zeugnissen. Drittens: Ich er-
biete mich ferner, den Beweis zu führen, daß die Bischöfe der romanischen
Länder, Spanien, Italien, Südamerika, Frankreich, welche in Rom die im-
mense Mehrheit gebildet haben, nebst ihrem Clerus schon durch die Lehr-
bücher, aus welchen sie zur Zeit ihrer Seminarbildung ihre Kenntnisse ge-
schöpft haben, bezüglich der Materie von der päpstlichen Gewalt irre geführt
worden waren, da die in diesen Büchern angeführten Beweisstellen großentheils
falsch, erdichtet oder entstellt sind. Ich will dieß nachweisen einmal an den
beiden Hauptwerken und Lieblingsbüchern der heutigen theologischen Schulen
und Seminarien, der Moraltheologie des S. Alfons Liguori (speciell des
darin befindlichen Tractats vom Papste) und der Theologie des Jesuiten Per-
rone, dann auch an den zur Zeit des Concils in Rom ausgetheilten Schriften
des Erzbischofs Cardoni und des Bischofs Ghilardi, sowie endlich an der
Theologie des Wiener Theologen Schwetz. Viertens: Ich berufe mich auf
die Thatsache und erbiete mich, sie öffentlich zu beweisen, daß zwei allgemeine
Concilien und mehrere Päpste bereits im 15. Jahrhundert durch feierliche,
von den Concilien verkündigte, von den Päpsten wiederholt bestätigte Decrete
die Frage von dem Machtumfange des Papstes und von seiner Unfehlbarkeit
entschieden haben, und daß die Decrete vom 18. Juli 1870 im grellen Wider-
spruche mit diesen Beschlüssen stehen, also unmöglich verbindlich sein können.
Fünftens glaube ich auch dieß beweisen zu können, daß die neuen Decrete
schlechthin unvereinbar sind mit den Verfassungen der europäischen Staaten,
insbesondere mit der bayrischen Verfassung, und daß ich schon durch den Eid