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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
wendigkeit einer solchen Berathung nicht aufzuerlegen, das heißt auf das
Dogma seiner Unfehlbarkeit zu verzichten. Als aber der Papst darauf be-
stand, daß das Concil sich damit befasse, haben die deutschen Bischöfe am
11. März eingehende Conferenzen über die Unfehlbarkeitsfrage, welche durch
gewählte Deputationen beider Theile geführt würden, begehrt. Sie wurden
nicht gestattet, es blieb bei den Reden in der allerdings jede geordnete Dis-
cussion unmöglich machenden Aula. Wie unentbehrlich und dringendst geboten
prüfende Conferenzen gewesen seien, dafür will ich hier nur ein Beispiel an-
führen. Eine beträchtliche Anzahl italienischer Bischöfe verlangte in einer nun
gedruckten Eingabe, daß die päpstliche Unfehlbarkeit zum Glaubenssatz erhoben
werde, weil zwei Männer, welche beide Italiener und der Stolz der Nation
seien, Thomas v. Aquin und Alfons v. Liguori, diese zwei hellstrahlenden
Lichter der Kirche, so gelehrt hätten.*) Nun war bekannt und von mir so-
wohl als von Gratry bereits erinnert worden, daß Thomas durch eine lange
Reihe erdichteter Zeugnisse betrogen worden sei, wie er sich denn in der That
für seine Lehre durchweg nur auf solche Fälschungen und nie auf echte Stellen
der Väter oder Concilien beruft. Und was Lignori betrifft, so reichte ein
Blick in seine Schrift hin, um einem kundigen Theologen zu zeigen, daß er
es noch schlimmer als Thomas mit gefälschten Stellen getrieben habe. Meine
Hinweisung auf den Betrug, welchem Thomas unterlegen war, hatte in Rom
großes Aufsehen erregt; der Verfasser einer in Rom damals verfaßten und
gegen mich gerichteten Schrift**) sagt: rings um ihn herum habe sich ein
Geschrei darüber erhoben. Es wäre also unumgänglich nothwendig gewesen,
die Sache doch zu prüfen. Freilich würde diese Prüfung, wenn sie umfassend
und gründlich angestellt worden wäre, sehr weit geführt, sie würde das Er-
gebniß geliefert haben, daß die Theorie der päpstlichen Unfehlbarkeit nur durch
eine lange Kette berechneter Erdichtungen und Fälschungen in die Kirche ein-
geführt, und dann durch Gewalt, durch Unterdrückung der alten Lehre und
durch die mannigfaltigen, dem Herrscher zu Gebote stehenden Mittel und
Künste ausgebreitet und behauptet worden sei. So waren denn alle Bemü-
hungen, Vorstellungen und Bitten vergeblich; nichts wurde bewilligt und doch
hatte man das Vorbild des sonst so oft angeführten Concils von Florenz
vor Augen, wo die Behauptung der Griechen, daß man ihnen gefälschte Texte
der Väter vorlege, zu monatelangen, mit größter Sorgfalt angestellten Unter-
suchungen und Discussionen geführt hatte. Es ist Ew. Excellenz gewiß bekannt,
daß man von jeher von einem wahren öcumenischen Concil, wenn es dogma-
tische Beschlüsse erlassen sollte, die genaueste und reifste Prüfung der Tradition
als Bedingung des Geltens gefordert hat. Wie contrasirt auch das Verfahren
zu Trient in diesem Punkte mit dem, was 1870 in Rom geschah! Freilich
hätte die Schrift des Erzbischofs Cardoni, welche in der Vorbereitungscom-
mission schon angenommen war und nun auch den versammelten Bischöfen
als Beweisführung gelten sollte, nicht eine Stunde lang die Prüfung aus-
gehalten.
„Mir ist in der ganzen Geschichte der Kirche unter den als allgemein be-
rufenen Concilien nur eines bekannt, auf welchem die Machthabenden, gleich-
wie auf dem jüngsten, jede gründliche Erörterung der Tradition verhindert
haben, und das ist das zweite von Ephesus vom Jahre 449; dort, auf der
sogenannten Räubersynode, geschah es mit Gewalt und tumultuarischer Ty-
rannei; auf dem vatikanischen war es die der Versammlung auferlegte Ge-
schäftsordnung, die päpstliche Commission und der Wille der Majorität, welcher
*) So die Sammlung officieller Actenstücke zum öcumenischen Con-
cil, II, 153.
**) De Romani Pontificis suprema potestate docendi. Disputatio
theologica, Napoll 1870, p. 50. En tota clamorum, quos circumcirca
andimus, Causa.