Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 123
-„Die Regierung des Kaisers wird hierin mit Bedauern ein Anzeichen er-
kennen, daß in Rom auf gegenseilige vertrauensvolle Beziehungen nicht ein
gleich hoher Werth gelegt wird, wie von ihrer Seite.“
10. Mai. (Preußen.) Erlaß des Oberkirchenraths an die Provinzialcon=
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sistorien der Landeskirche bez. des Schulaufsichtsgesetzes.
Daß dieses Aktenstück, dessen versöhnliche Haltung sich von den in demselben
Betreff ergangenen Erlassen der Mehrzahl der preußischen Consistorien an ihre
Geistlichkeit auffallend unterscheidet, von der nämlichen Behörde ausgeht, welche
seinerzeit gegen die ohne ihre Mitwirkung erfolgte Einbringung des Schul-
aussichtsgesetzes als gegen einen Eingriff in ihre Rechte protestirte und durch
dieses Verfahren die Oberconsistorien zu ihrem Vorgehen ermuthigte, wird
einigermaßen durch den längeren Urlaub erklärt, welchen der Präsident des
Oberkirchenraths, geh. R. Mathis, seit dem Zustandekommen des Gesetzes an-
getreten hat und aus dem er jetzt um seine Entlassung eingekommen ist.
„ (Deutsches Reich.) Bundesrath: einigt sich definitiv über die
Vertheilung der französischen Kriegsentschädigung.
Präsident Delbrück erklärt, daß sich die preußische Regierung in Folge
des gestern abgehaltenen Ministerrathes entschlossen habe, den letzten bayer. An-
trag zu acceptiren, wonach bei der Restvertheilung der Maßstab von ¾ der
militärischen Leistungen und ¼ der Bevölkerungszahl berücksichtigt werden
sollte, jedoch so, daß zuvörderst die militärischen Leistungen berücksichtigt wür-
den, damit zunächst die wirklichen Ausgaben für den Krieg gedeckt werden,
und der Ueberschuß gewissermaßen als Gewinn später zu Vertheilung kommen
sollte. Bei der Abstimmung findet der betreffende Artikel die einhellige Zu-
stimmung des Bundesrathes und es wird also die Restvertheilung jetzt in der
gedachten Weise erfolgen. Preußen bringt übrigens dabei erhebliche finanzielle
Opfer, welche sich auf circa 5 Mill. Thlr. belaufen.
„ Im Anschluß an die theologische Fakultät der Universität Jena
erlüäßt eine große Anzahl angesehener Männer der verschiedensten
Lebensstellung aus Süd= und Mitteldeutschland eine Erklärung gegen
die Tendenz, die in der in Preußen eingeleiteten Disciplinarunter-
suchung gegen die freisinnigen Berliner Prediger Lisco und Sydow
(wegen öffentlicher wissenschaftlicher Vorträge) zu Tage getreten ist.
In dieser Erklärung wird betont, daß die bei Gelegenheit jener Untersuchung
gepflogenen Verhandlungen übereinstimmend mit verschiedenen anderen kirchen-
regimentlichen Maßregeln bewiesen hätten, daß „eine dermalen in der evangeli-
schen Kirche mächtige Partei“ die Zeit für gekommen erachte, „um der that-
sächlich in der evangelischen Kirche bestehenden Mannigfaltigkeit der theologi-
schen Richtungen ein gewaltsames Ende zu bereiten und alle diejenigen, welche
die Grenzlinien zwischen der ewigen Wahrheit und der wechselnden Form des
Bekenntnisses anders bestimmen als sie, aus der Kirche hinauszudrängen."“
Die verschiedensten Nichtungen in der evangelischen Kirche seien darüber einig,
daß kein Ergebniß echt wissenschaftlicher Forschung etwas aufheben könne von
dem, was wirklich zur Wahrheit des Evangeliums gehöre, „von jener erlö-
senden, beseligenden und heiligenden Gotteskraft, die vom Erlöser ausging
und in seiner Gemeinde durch die Jahrhunderte herab und heute noch unver-
mindert wirksam ist“. Aber gerade die persönliche Glaubensgewißheit, welche
das Merkmal des evangelischen Christenthums ausmache, stelle der Kirche
die Aufgabe, die für jede Zeit angemessenste Form für den unwandelbaren
Gehalt des christlichen Glaubens immer aufs Neue zu suchen und die rechte
Glaubenstreue mit dem Geiste evangelischer Freiheit zu durchdringen. Die
geschichtliche Entwickelung der Kirche selbst im Zusammenhange mit der Ge-
sammtentwickelung des geistigen Lebens habe es mit sich gebracht, daß man