Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einjelnen Glieder. 
bei dem päpstlichen Stuhle dort gefunden hat, die Neigung, diesen Gesandten- 
posten seitens des Reichstages beizubehalten und zu dotiren, sehr wenig verstärkt 
haben wird. Die Art, wie diese Ernennung, ein solches Entgegenkommen 
zurückgewiesen ist, hat ja etwas Verletzendes, nicht allein für die Bundes- 
regierung, nicht allein für den Leiter unserer auswärtigen Politik —; nein, 
über ihn hinaus wendet sich diese Zurückweisung, diese Verletzung selbst gegen 
das Oberhaupt des deutschen Neiches. (Widerspruch im Centrum. Sehr wahr, 
sehr richtig! rechts und links.) M. HH.l! (zum Centrum gewendet) Wenn 
Sie das nicht empfinden (nein, nein! im Centrum), daß darin etwas Ver- 
letzendes liegt, wenn ein Gesandter, der mit Genehmigung des deutschen Kaisers 
beim päpstlichen Stuhle designirt ist, dort zurückgewiesen wird, so glaube ich, 
daß hier im Reichstage die große Mehrheit und gemeinsam das deutsche Volk 
dies empfinden wird. (Zustimmung rechts und links; lebhafter Widerspruch 
im Centrum.) Fürst Bismarck: Ich begreife zwar, daß der Gedanke in 
der Bevölkerung entstehen kann, daß die Kosten für eine Gesandtschaft nicht 
mehr erforderlich sind, wenn es sich nicht mehr um den Schutz deutscher 
Unterthanen in den betreffenden Landestheilen handelt. Ich freue mich aber 
doch, daß ein Antrag auf die Absetzung dieser Position nicht gestellt ist, denn er 
würde der Regierung unwillkommen gewesen sein. Die Aufgabe einer Ge- 
sandtschaft besteht ja einerseits in dem Schutze ihrer Landsleute, andererseits 
doch aber auch in der Vermittlung der politischen Beziehungen der ver- 
schiedenen Mächte, bei welchen die Gesandten accreditirt sind. Nun gibt es 
keinen auswärtigen Souverän, der nach der bisherigen Lage unserer Gesetz- 
gebung berufen wäre, so ausgedehnte und durch keine constitutionelle Verant- 
wortlichkeit gedeckten Rechte innerhalb des deutschen Reiches auszullben, als 
Se. Heiligkeit der Papst. Es ist daher von wesentlichem Interesse für das deutsche 
Reich, wie dasselbe sich zum Oberhaupt der röm. Kirche, welches diesen wie 
gesagt, so außerordentlichen umfangreichen Einfluß übt, wie es sich auf diplo- 
matischem Wege dazu stellt. Ich glaube kaum, daß es einem Gesandten des 
deutschen Reiches nach den jetzt in der katholischen Kirche maßgebenden Stim- 
mungen gelingen würde, durch geschickte Diplomatie, durch Ueberredung einen 
Einfluß auszuüben, der eine Modifikation der von Sr. Heiligkeit dem Papste 
zu den weltlichen Dingen prinzipiell genommenen Stellung herbeiführen könnte. 
Ich halte es nicht für möglich, daß nach den jetzt ausgesprochenen und öffentlich 
promulgirten Dogmen die kath. Kirche mit einer weltlichen Macht zu einem 
neuen Concordat gelangen könnte, ohne daß die weltliche Macht in einem gewissen 
Grade afficirt wird, was das deutsche Reich wenigstenz nicht annehmen kann. 
(Sehr wahr!) Dessen seien Sie sicher: nach Canossa gehen wir nicht, 
weder in kirchlicher noch in staatlicher Beziehung. (Große Heiterkeit.) 
Aber es kann sich Niemand verhehlen, daß die Stimmung innerhalb des deutschen 
Reiches auf dem Gebiete des confessionellen Friedens eine gedrückte ist. Die 
Regierungen des deutschen Reiches suchen für die Glaubensspaltung, welche die 
katholischen und evangelischen Unterthanen scheidet, nach dem Mittel, in einer 
Mmöglichst friedlichen, die Verhältnisse des Reiches Möglichst wenig erschütternden 
Weise aus den jetzigen Uebelständen in bessere Zustände zu gelangen. Es 
wird dies ja schwerlich anders geschehen können, als auf dem Wege der Ge- 
setzgebung, und zwar auf dem Wege einer allgemeinen Gesetzgebung (Bravol), 
zu welcher die Regierung nach meiner Ueberzeugung auch genöthigt sein wird, 
die Thätigkeit. des NReichstages in Anspruch zu nehmen. (Bravol) Daß aber diese 
Gesetzgebung in einer die Gewissensfreiheit durchaus schonenden, zurückhaltenden 
zart verfahrenden Weise geschehen muß, daß dabei die Regierungen bemüht seien, 
alle diejenigen Erschwerungen ihrer Aufgabe, die aus unrichtigen Berichterstattun- 
gen, aus Mangel an den richtigen Formen hervorgehen können, das werden sie mir 
zugeben, daß die Regierungen bemüht sein müssen, die richtige Stellung unseres 
inneren Friedens auf die für die confessionellen Empfindungen — auch solche, 
die wir nicht theilen — schonendste Weise herbeizuführen. Dazu gehört vor 
  
 
	        
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