Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. 131
worden sei. Lebhafte Unterhandlungen zwischen allen anticlericalen
Fractionen, um einen Beschluß mit möglichst großer Majorität zu er—
zielen: in Folge davon Antrag Marquardsen. Bei der Abstimmung
wird der Antrag des Abg. Mallinkrodt und der Clericalen mit 224
gegen 73 Stimmen verworfen und der Antrag Marquardsen mit 205
gegen 84 Stimmen angenommen.
Anträge liegen vor: 1) Antrag der Commission (Sneist): „Der
deutsche Reichstag wolle beschließen: die sämmtlichen oben bezeichneten Peti-
tionen dem Herrn Reichskanzler mit dem Ersuchen zu Überweisen, aus dem
Inhalt derselben es zur Kenntniß der verbündeten Regierungen zu brin-
gen, in wie weitem Maße der Orden Jesu und die von ihm geleiteten Ein-
richtungen und Vereine auf dem Boden des freien Vereinsrechts ihre Thätig-
keit innerhalb des deutschen Reiches entwickelt haben, sowie mit der Auffor-
derung, I. die verblndeten Negierungen zu veranlassen, sich über gemeinsame
Grundsätze zu verständigen in Betreff der Zulassung religiöser Orden, in Be-
treff der Erhaltung des Friedens der Glaubensbekenntnisse unter sich und
gegen die Verkümmerung staatsbürgerlicher Rechte durch die geistliche Gewalt;
insbesondere aber II. womöglich noch in dieser Session dem Reichstage einen
Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen die Niederlassung von Mitgliedern der
Gesellschaft Jesu und der ihr verwandten Congregationen ohne ausdrückliche
Zulassung der betreffenden Landesregierung unter Strafe gestellt wird.“
2) Antrag von Lamey, Fürst von Hohenlohe-Schillingsfürst,
Windthorst (Berlin), Dr. Völk, Dr. Meyer (Thorn), Kiefer, Eckhard:
„statt Nr. II. des Antrags der Commission zu setzen: baldmöglichst einen Ge-
setzentwurf vorzulegen, durch welchen den Mitgliedern der Gesellschaft Jesu
und der ihr verwandten Congregationen die Errichtung von Niederlassungen,
sowie die Ausübung geistlicher Functionen und der Lehrthätigkeit unter An-
drohung von Strafe verboten wird.“
3) Abg. v. Mallinckrodt und das Centrum beantragen: „a. über die
vorliegenden Petitionen zur Tagesordnung überzugehen; eventuell: b. die
sämmtlichen Petitionen dem Hrn. Reichskanzler zu überweisen, mit dem An-
heimgeben: 1) über die Haltung und Wirksamkeit der Jesuiten, während des
mehr als zwanzigjährigen Aufenthalts derselben in den verschiedenen Gegenden
des Neiches eingehende Erhebungen zu veranlassen, auf daß jede Beschuldigung
wegen gesetzwidrigen oder staatsfeindlichen oder den Frieden der Confession
störenden oder die Sittlichkeit gefährdenden Verhaltens auf ihre etwaigen that-
sächlichen Unterlagen gestellt, und die Wahrheit der behaupteten Thatsachen
geprlisft werde; 2) je nach dem Ergebnisse der Ermittelungen die Bestrafung
der Schuldigen herbeizuführen, oder aber zur Genugthuung für schuldlos An-
geklagte den Ungrund der Beschuldigungen zu constatiren.
4) Abg. Wagener (Neustettin) und Dr. Lucius (Erfurt), unterstützt
von der conserv. und der deulschen Reichspartei beantragen: „sämmtliche in
dem sechsteu Petitionsbericht näher bezeichneten Petitionen dem Hrn. Reichs-
kanzler zu Überweisen mit der Aufforderung: 1) darauf hinzuwirken, daß
innerhalb des Reiches ein Zustand des öffentlichen Rechts hergestellt werde,
welcher den religiösen Frieden, die Parität der Glaubensbekenntnisse und den
Schutz der Staatsbürger gegen Verkümmerung ihrer Rechte durch geistliche
Gewalt sicher stellt; 2) insbesondere einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher
auf Grund des Art. 4 Nr. 16 der Reichsverfassung die rechtliche Stellung
der religiösen Orden, Congregationen und Genossenschaften, ihre Zulassung
und deren Bedingungen regelt, sowie die Thätigkeit derselben, namentlich der
„Gesellschaft Jefu“, insoweit sie sich als eine staatsgefährliche darstellt oder
sonst gegen die Reichs= und Staatsgesetze verstößt, unter Strafe stellt.“
5) Von Seiten der Democraten (Abg. Gravenhorst und Sonnemann)
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