Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 165 
die Abhaltung von Missionen nicht zu gestatten. 2) Niederlassungen des 
Ordens der Gesellschaft Jesu sind spätestens binnen sechs Monaten vom Tage 
der Wirksamkeit des Gesetzes an, aufzulösen. 3) Die zur Vollziehung des 
Gesetzes in den einzelnen Fällen zu treffenden Anordnungen werden von den 
Landespolizeibehörden verfügt. 4) Es wird den hohen Bundesregierungen 
empfohlen, die nach dem Gesetze zulässige Anweisung des Aufenthaltes in be- 
stimmten Bezirken oder Orten der Regel nach auf diejenigen Fälle zu be- 
schränken, in welchen der betreffende Angehörige des Ordens sich außer Stande 
erklärt, selbst einen bestimmten ihm nicht versagten Aufenthaltsort zu wählen. 
5) Die hohen Bundesregierungen werden ersucht: a) Von der vollzogenen 
Auflösung von Niederlassungen des Ordens der Gesellschaft Jesu dem Reichs- 
kanzler-Amte in jedem einzelnen Falle Nachricht zu geben; b) baldthunlichst 
dem Reichskanzler-Amte Mittheilung darüber zu machen, ob ausländische An- 
gehörige des Ordens der Gesellschaft Jesu ausgewiesen worden, ob deutschen 
Angehörigen des Ordens der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orden 
versagt, oder in solchen angewiesen worden ist, und endlich die Namen und 
persönlichen Verhältnisse der von solchen Maßregeln betroffenen Personen an- 
zugeben; c) Erhebungen darüber zu veranstalten, ob in ihrem Gebiete Orden 
oder ordensähnliche Congregationen bestehen, welche mit dem Orden der Ge- 
sellschaft Jesu verwandt sind, und die Ergebnisse dieser Erhebungen dem Reichs- 
kanzleramte binnen drei Monaten mitzutheilen. Berlin 5. Juli 1872. Der 
Reichskanzler. In Vertretung: Delbrück. 
8. Juli. Die clericale Partei sucht der Agitation für ihre Zwecke durch 
die Bildung eines von Mainz ausgehenden „Vereins deutscher Katho- 
liken“ eine festere Organisation und neuen Schwung zu geben. Der 
Vorstand dieses Vereins erläßt einen Aufruf an die Katholiken Deutsch- 
lands und einen Protest gegen das Jesuitengesetz. 
Den Vorstand des Vereins bilden 21 Mitglieder, welche den Aufruf unter- 
zeichnet haben. Präsident ist der Reichstagsabgeordnete Freiherr v. Loe, 
Vicepräsident der bayerische Reichsrath Freiherr v. Frankenstein; als Seeretäre 
fungiren zwei Mainzer Kaufleute, als Rendant ein Oberrechnungsrath in 
Darmstadt, als sonstige Directorialmitglieder: F. Baudri in Köln, Fürst 
Isenburg-Birstein und Freiherr v. Wambolt in Groß-Umstadt. Von den 
übrigen dem Vorstande angehörenden Persönlichkeiten nennen wir den Grafen 
Arco Zinneberg in München, den Leg.-Rath a. D. v. Kehler in Berlin, die 
Reichstagsabgeordneten Freiherrn v. Ketteler (Paderborn) und Schorlemer-Alst 
und den Domcapitular Molitor in Speier. Der Aufruf selbst bezeichnet 
ols Zweck des Vereines die Vereinigung der katholischen Männer „zu gemein- 
samem Handeln, um auf das politische Leben gebührenden Einfluß zu üben“, 
eine „feste und umfassende Organisation, um unsere Presse gegen die Ueber- 
macht der Gegner zu stützen, bei den politischen Wahlen unsere Stimme zur 
Geltung zu bringen und unsern Interessen bei den Regierungen Gehör zu 
schaffen". In der Motivirung wird die gegenwärtige Lage der Katholiken 
in Deutschlaud als ein Zustand der „Verfolgung der Kirche“ charakterisirt 
und die Nothwendigkeit betont, den „kirchlich-politischen Grundsätzen, welche 
Vernunft und Glauben lehren, mit allen gesetzlich zu Gebote stehenden Mitteln 
Anerkennung zu erringen: einerseits um der Kirche die ihr von Gott verliehene 
Freiheit und Selbständigkeit und damit den Wirkungskreis ihrer göttlichen 
Mission zu wahren, andererseits um nach Kräften dazu beizutragen, daß der 
Auflösung und Zersetzung der bürgerlichen Ordnung, welche bei der Herrschaft 
der entgegengesetzten Grundsätze unausbleiblich eintreten werden, ein Damm 
entgegengestellt werde. „„Für Gott und Vaterland!"" soll unser Wahlspruch 
sein in dem Kampfe, zu dem wir uns in diesem ernsten Augerblick erheben. 
Aber nur durch Einheit können wir zu siegen hoffen.“ Gleichzeitig veröffent- 
licht der Vorstand des neugebildeten Vereins einen Protest gegen das Je-
	        
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