Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
und fertig und läßt sich gleichzeitig über das Ministerium Gasser wie folgt 
vernehmen: „Immer und in jedem Falle sehen wir in einem Ministerium 
Gasser mit dem Scheine des Ultramontanismus nur Nachtheile. Nachdem 
der Staatskarren einmal so tief eingesunken ist, könnten wir — wenn nicht 
sehr bald ein großer Krieg kommt — auch von den entschiedensten ultra- 
montanen Ministerien eine Rettung Bayerns vor der tödtlichen Umarmung 
Preußens nicht mehr erwarten, denn es ist groß und wir sind klein. Gerettet 
kann Bayern als selbständiger Staat überhaupt nur mehr durch fremde 
Hilfe werden. Dazu aber ist bis jetzt nicht die mindeste Aussicht, denn 
Oesterreich ist im Garne Bismarcks und Frankreich ist heute noch nicht 
kampffähig. Durch eigene Kraft, durch die Kraft des bayerischen Volkes 
wäre eine Rettung dann denkbar, wenn die Bauern von Sendling nicht wie 
die Tyroler Andreas Hofers der Geschichte angehörten. Zwischen den begeistert- 
sten Hochrufen und dem Sterben in offener Schlacht ist eben einiger Unter- 
schied, zumal wenn dazu kein besonderer Anlaß vorhanden ist. Was aber 
sollen wir denn thun? — Abwarten und die Stellung behaupten, die wir 
bisher eingenommen haben, aber nicht mitthun bei einer Sache, wo Herz und 
Kopf nicht dabei sein können. Wir sind in der Lage des heil. Vaters, von 
der Gewalt unterdrückt, machtlos, ohne Armeen; so machen wir es wie er, 
der sich weder den „Verhältnissen", noch der Gewalt, noch der „geschaffenen 
Zwangslage" beugt und Allem sein Non possumus entgegensetzt. Auch wir 
sagen: non possumus, wir können nicht mitthun an euerem Werk, und wie 
wir sagen, so handeln wir, wie es Christen ziemt, die keine Rebellion machen, 
die sich aber auch nicht zu Mitschuldigen des Unrechts machen.“ — Der Zan- 
der'sche „Volksbote“ aber meint: „Wie, mit welchen Mitteln wird das neue 
Ministerium der Verpreußung entgegentreten? Es mag die Sache anpacken, 
wie es will, ohne Conflikt, ja vielleicht ohne Krieg mit dem Reiche ist 
ein Erfolg absolut unmöglich. Wird das Ministerium Gasser es auf einen 
Krieg ankommen lassen, um die Krone Bayerns zu retten! Und wenn, wo 
sind seine Bundesgenossen: Begreift man jetzt, weßhalb wir Angesichts der 
Lage das proicktirte Ministerium für ein Unglück halten : Glaubt man über- 
haupt noch an eine Rettung Bayerns und will man der Krone ernstlich zu 
Hilfe kommen, so muß man einen offenen Bruch mit dem „Reiche“ ins Auge 
fassen. Wir sagen nicht, man dürfe oder solle auf den Bruch hinarbeiten; 
wir sagen nur, daß der Bruch sobald man in Bayern gegen die weitere Ver- 
preußung Ernst macht, sowie die Dinge thatsächlich liegen, unvermeidlich 
ist. Will man aber diesen Bruch nicht, nun, so gebe man die Rettung 
Bayerns auf und trage den Löwen lieber heute noch als Beute dem gefräßigen 
Reichsadler entgegen.“ 
Derselbe „Volksbote“ entwickelt das Programm der fanatisch-ultra- 
montanen Partei folgendermaßen: „Die Revolution gegen die kirchl. Auto- 
rität und folgerichtig gegen die christliche Weltordnung überhaupt klebt dem 
gegenwärtigen „Reiche“ nicht bloß äußerlich an, so daß sie sich von ihm trennen 
ließe; nein, das dermalige „deutsche Reich“ ist vielmehr das naturnothwendige 
Ergebniß einer mehr als 300jährigen Revolution, mit deren Entwickelung Preu- 
ßen und dessen ganze Geschichte aufs innigste und wesentlichste verknüpft ist. Wie 
die Empörung gegen die Autorität der Kirche, die Lossagung von Rom und 
dem gesammten sichtbaren Lehr-, Hirten= und Priesteramte gleich von Anfang 
an in Preußen ihren Hort und ihre eigentliche Stütze fand, so hat sich das 
nämliche Preußen auch nachher und bis auf den heuligen Tag als die 
eminent protestantische und darum der Kirche principiell feindliche Macht ge- 
zeigt. Heute handelt es sich um die Einführung der äußersten Consequenzen 
des Protestantismus in das Leben der Völker, um die Inthronisirung des 
im gleißenden Gewande des Liberalismus einherziehenden Antichristenthums 
und vollendeten Atheismus, und wiederum ist es Preußen, das als natürlicher 
Allürter des Protestantismus diesen Bestrebungen unter Anwendung der
	        
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