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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
und fertig und läßt sich gleichzeitig über das Ministerium Gasser wie folgt
vernehmen: „Immer und in jedem Falle sehen wir in einem Ministerium
Gasser mit dem Scheine des Ultramontanismus nur Nachtheile. Nachdem
der Staatskarren einmal so tief eingesunken ist, könnten wir — wenn nicht
sehr bald ein großer Krieg kommt — auch von den entschiedensten ultra-
montanen Ministerien eine Rettung Bayerns vor der tödtlichen Umarmung
Preußens nicht mehr erwarten, denn es ist groß und wir sind klein. Gerettet
kann Bayern als selbständiger Staat überhaupt nur mehr durch fremde
Hilfe werden. Dazu aber ist bis jetzt nicht die mindeste Aussicht, denn
Oesterreich ist im Garne Bismarcks und Frankreich ist heute noch nicht
kampffähig. Durch eigene Kraft, durch die Kraft des bayerischen Volkes
wäre eine Rettung dann denkbar, wenn die Bauern von Sendling nicht wie
die Tyroler Andreas Hofers der Geschichte angehörten. Zwischen den begeistert-
sten Hochrufen und dem Sterben in offener Schlacht ist eben einiger Unter-
schied, zumal wenn dazu kein besonderer Anlaß vorhanden ist. Was aber
sollen wir denn thun? — Abwarten und die Stellung behaupten, die wir
bisher eingenommen haben, aber nicht mitthun bei einer Sache, wo Herz und
Kopf nicht dabei sein können. Wir sind in der Lage des heil. Vaters, von
der Gewalt unterdrückt, machtlos, ohne Armeen; so machen wir es wie er,
der sich weder den „Verhältnissen", noch der Gewalt, noch der „geschaffenen
Zwangslage" beugt und Allem sein Non possumus entgegensetzt. Auch wir
sagen: non possumus, wir können nicht mitthun an euerem Werk, und wie
wir sagen, so handeln wir, wie es Christen ziemt, die keine Rebellion machen,
die sich aber auch nicht zu Mitschuldigen des Unrechts machen.“ — Der Zan-
der'sche „Volksbote“ aber meint: „Wie, mit welchen Mitteln wird das neue
Ministerium der Verpreußung entgegentreten? Es mag die Sache anpacken,
wie es will, ohne Conflikt, ja vielleicht ohne Krieg mit dem Reiche ist
ein Erfolg absolut unmöglich. Wird das Ministerium Gasser es auf einen
Krieg ankommen lassen, um die Krone Bayerns zu retten! Und wenn, wo
sind seine Bundesgenossen: Begreift man jetzt, weßhalb wir Angesichts der
Lage das proicktirte Ministerium für ein Unglück halten : Glaubt man über-
haupt noch an eine Rettung Bayerns und will man der Krone ernstlich zu
Hilfe kommen, so muß man einen offenen Bruch mit dem „Reiche“ ins Auge
fassen. Wir sagen nicht, man dürfe oder solle auf den Bruch hinarbeiten;
wir sagen nur, daß der Bruch sobald man in Bayern gegen die weitere Ver-
preußung Ernst macht, sowie die Dinge thatsächlich liegen, unvermeidlich
ist. Will man aber diesen Bruch nicht, nun, so gebe man die Rettung
Bayerns auf und trage den Löwen lieber heute noch als Beute dem gefräßigen
Reichsadler entgegen.“
Derselbe „Volksbote“ entwickelt das Programm der fanatisch-ultra-
montanen Partei folgendermaßen: „Die Revolution gegen die kirchl. Auto-
rität und folgerichtig gegen die christliche Weltordnung überhaupt klebt dem
gegenwärtigen „Reiche“ nicht bloß äußerlich an, so daß sie sich von ihm trennen
ließe; nein, das dermalige „deutsche Reich“ ist vielmehr das naturnothwendige
Ergebniß einer mehr als 300jährigen Revolution, mit deren Entwickelung Preu-
ßen und dessen ganze Geschichte aufs innigste und wesentlichste verknüpft ist. Wie
die Empörung gegen die Autorität der Kirche, die Lossagung von Rom und
dem gesammten sichtbaren Lehr-, Hirten= und Priesteramte gleich von Anfang
an in Preußen ihren Hort und ihre eigentliche Stütze fand, so hat sich das
nämliche Preußen auch nachher und bis auf den heuligen Tag als die
eminent protestantische und darum der Kirche principiell feindliche Macht ge-
zeigt. Heute handelt es sich um die Einführung der äußersten Consequenzen
des Protestantismus in das Leben der Völker, um die Inthronisirung des
im gleißenden Gewande des Liberalismus einherziehenden Antichristenthums
und vollendeten Atheismus, und wiederum ist es Preußen, das als natürlicher
Allürter des Protestantismus diesen Bestrebungen unter Anwendung der