Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Das deutsche Reich und seine einjelnen Glieder. 205 
6.— 7. Okt. Versammlung der sog. Kathedersocialisten in Eisenach. Die- 
selbe verhandelt über die Fabrikgesetzgebung, über Coalitionsrecht, Ge- 
werksvereine und Schiedsgerichte und faßt einige vorläufige Resolu- 
tionen: 
Ueber Fabrikgesetzgebung (Referent Brentano): „1) Die bestehende 
Fabrikgesetzgebung in Deutschland ist ihrer Anlage nach den Bedürfnissen ent- 
sprechend, bedarf aber einer wirksamen Ausführung durch ständige Amtsorgane; 
2) die Fabrikgesetzgebung ist in demselben Geist fortzubilden durch erweiterte 
Arbeitsverbote und verstärkten Schulzwang für jugendliche Arbeiter, insbesondere 
durch Ausdehnung auf alle industrielle Thätigkeit beim Hervortreten gleicher 
Uebelstände; 3) diese Fortbildung ist mit nothwendiger Unterscheidung auch auf 
verheirathete Frauen auszudehnen.“ Ueber Coalitionsfreiheit, Ge- 
werkvereine und Schiedsgerichte (Referent Prof. Schmoller): „1) Die Coalitions- 
freiheit ist unbedingt anzuerkennen. 2) Gesetzliche Anerkennung der Gewerks- 
vereine und deren Hilfskassen unter gewissen Normativbestimmungen und 
Verpflichtungen wird von der Mehrheit als angenommen anerkannt. 3) Die 
Einrichtung von Einigungsämtern und Schiedsgerichten wird allgemein als 
zweckmäßig anerkannt.“ 
6. Okt. Der neue von Mainz aus organisirte Verein der deutschen Katholiken 
hält in Köln seine erste Wanderversammlung und beschließt folgende 
Rcsolutionen: 
"„1) Der Verein deutscher Katholiken weist die verleumderische Anschul- 
digung zurück, daß die katholische Bevölkerung gleichgiltig sei gegen die In- 
teressen des Vaterlandes und feindselig gegen das Reich. Durch Gewissen und 
Glauben verpflichtet, die Obrigkeit zu achten, verabscheuen katholische Männer 
jede revolutionäre und landesverrätherische Unternehmung. Als vollberechtigte 
Staatsbürger werden sie aber nimmermehr die Freiheit ihrer Person und die 
Selbständigkeit ihrer Kirche der Willkür einzelner Staatsmänner und zufälliger 
Majoritäten preisgeben. Es ist ihre Pflicht, mit allen erlaubten Mitteln den 
Gesetzen und Polizeimaßregeln entgegenzutreten, welche im Widerspruche mit 
göttlichem und menschlichem Rechte ihre religiöse wie bürgerliche Freiheit be- 
einträchtigen. 2) Die katholische Kirche hat kraft göttlicher Einsetzung den 
Auftrag, mithin die Pflicht, die Wahrheit überall und allezeit zu verkündigen. 
Seit mehr als einem Jahrtausend besteht sie in Deutschland mit ihrem un- 
veränderlichen Glauben, ihren Gesetzen und Einrichtungen als autonome, selbst- 
ständige und unabhängige Gesellschaft. In dieser ihrer Rechtsstellung ist sie 
durch feierliche Staatsverträge anerkannt und durch fürstliche Zusagen bestätigt. 
Es steht daher der weltlichen Gewalt nicht zu, nach Gutdünken durch Gesetze 
und Verwaltungsmaßregeln zu bestimmen, welches Maß von Freiheit die 
Kirche in Deutschland genießen soll. 3) Dem Staate steht nicht das Recht 
zu, die Schule als Monopol für sich in Anspruch zu nehmen. Es ist ein 
unbestreitbares Recht der Eltern, über Erziehung und Unterricht ihrer Kinder 
Entscheidung zu treffen. Nicht minder ist es ein unbestreitbares Recht wie eine 
Pflicht der Kirche, durch eigene, freie und selbständige Schulen — Volksschulen 
sowohl als höhere — die ihr durch die Taufe angehörigen Kinder zu christ- 
licher Bildung zu führen. Wenn in jüngster Zeit der Versuch gemacht wurde, 
der Kirche jeglichen Einfluß auf die Schule zu entziehen und die religiösen 
Genossenschaften von dem Unterrichte auszuschließen, so müssen die Katholiken 
dagegen ihr durch die Verfassung garantirtes Recht festhalten. 4) Es steht 
der Staatsgewalt nicht zu, einen von der katholischen Kirche approbirten Orden 
zu unterdrücken, noch weniger ihr die Orden Üüberhaupt zu verwehren. Das 
sog. Jesuitengesetz ist eine Verletzung der Würde und Freiheit der Kirche, eine 
Beeinträchtigung der Gewissensfreiheit aller Katholiken und ein Eingriff in die 
staatsbürgerlichen Rechte unbescholtener Söhne des Vaterlandes. 5) Es steht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.