Das deutsche Reich und seine einjelnen Slieder. 207
dem Bunde angehöriges und ein demselben fremdes Gebiet, trotz aller Verträge,
die man zur Ausfüllung der Kluft zwischen Nord= und Südhessen abschloß,
auf die Dauer geradezu unhaltbar werden. Aus diesem Zustand hat die
Gründung des Reiches uns erlöst, und es ist schon deßhalb natürlich, daß in
Hessen lebhafte Sympathien für Kaiser und Reich vorhanden sind. Die Ne-
gierung weiß, daß sie mit den Gesinnungen der überwiegenden Mehrzahl der
Bevölkerung des Landes übereinstimmt und daß sie zugleich das Interesse des
großh. Hauses am Besten wahrnimmt, wenn sie ihre Pflichten gegen das
Reich mit voller, freudiger Hingebung an die großen nationalen Aufgaben des
deutschen Cemeinwesens erfüllt und wenn sie in demselben Geiste das ihr durch
die Neichsverfafsung gewährte Recht der Mitwirkung bei den gemeinsamen
deutschen Angelegenheiten ausübt. Was sodann die inneren Verhältnisse des
Landes angeht, so ist es zunächst die Resorm des Wahlgesetzes, hinsichtlich
deren die Regierung Ihre Mitwirkung in Anspruch nimmt. Die Regierung
hofft, daß es gelingen wird, auf der Grundlage des von ihr umgeänderten
Entwurfes zu der dringend wünschenswerthen baldigen Vercinbarung Über das
neue Wahlgesetz zu gelangen. Nicht minder ist es der Wunsch der Regierung,
daß von den Ihnen bereits vorliegenden Gesetzes-Entwürfen insbesondere die-
jenigen, welche sich auf die Gemeindegusgaben, auf die Pensionirung der Civil-
beamten und auf die Besoldungen der Geistlichen sowie der Lehrer beziehen,
noch auf dem gegenwärtigen Landtage erledigt werden möchten. Außer diesen
bereits in Verhandlung begriffenen Gegenständen sind in der nächsten Zeit
noch eine Reihe wichtiger Aufgaben zu lösen. Es wird sich darum handeln,
veränderte Personal= und Besoldungsetats auf Grundlage einer möglichst ver-
einfachten Verwaltungsorganisation zu entwerfen. Zugleich wird die Regie-
rung ihr Bestreben darauf richten, Einrichtungen zu treffen, durch welche die
Bevölkerung zur Theilnahme an der Verwaltung in größerem Maße, als es
bisher geschehen war, herangezogen wird. Einer besonderen Sorgfalt bedarf die
weitere Behandlung der kirchlichen Verhältnisse, soweit das Staatsinteresse
dabei in Betracht kommt. Es gilt, unter vollständiger Wahrung der Glau-
bens= und Gewissensfreiheit, die Rechte Sr. k. H. des Großherzogs auch den
kirchlichen Gemeinschaften gegenüber aufrecht zu erhalten und zur Förderung
des confessionellen Friedens in Anwendung zu bringen. Der evangelischen
Kirche des Landes steht eine Neugestaltung ihrer Verfassung bevor. Erst
wenn diese Neugestaltung vollzogen ist, wird auch das Verhältniß des Staates
zur evangelischen Kirche neu geordnet werden können. Was die katholische
Kirche betrifft, so wird es vor allen Dingen darauf ankommen, den Rechts-
boden für das Verhältniß zwischen Staat und Kirche, so weit erforderlich, auf
dem Wege der Gesetzgebung, wieder klar und sicher zu stellen. Die Schule
und das Unterrichtswesen Überhaupt in allen seinen Abstufungen wird von der
Regierung, die von der Wichtigkeit dieses Zweigs der öffentlichen Verwaltung
durchdrungen ist, mit dem regsten Eifer gefördert werden, insbesondere wird
dafür gesorgt werden, daß die Verhältnisse, welche in Bezug auf das Volks-
schulwesen einer gesetzlichen Regelung bedürfen, so schleunig wie möglich im
Wege der Gesetzgebung geordnet werden. Es versteht sich von selbst und be-
dar deßhalb kaum einer Versicherung, daß die Regierung es sich angelegen sein
lassen wird, auch den materiellen Interessen des Landes gerecht zu werden,
die Landwirthschaft zu heben, Handel und Industrie zu pflegen und den schwie-
rigen Fragen, welche durch die Lage und die Bestrebungen der Arbeiterklasse
angeregt find, die ernsteste Aufmerksamkeit zuzuwenden. D ie Regierung ver-
hehlt sich die Schwierigkeit ihrer Aufgabe nicht, allein sie geht mit der Zu-
versicht ans Werk, welche aus dem Bewußtsein redlichen Strebens entspringt.
Es ist keine Parteiregierung, m. HH., die vor Ihnen steht. Es ist eine Re-
gierung, die kein anderes Programm hat, als das Wohl des Landes, und
die deßhalb auf die Unterstützung aller derienigen glaubt zählen zu dllrfen,
welchen dieses Wohl am Herzen liegt und welche gleich der Regierung wünschen,