Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

222 Das deutsche Reich und seine einjelnen Elieder. 
10. Nov. (Hessen.) Beginn der Wahlagitation für die Neuwahlen zur 
II. Kammer. Landesversammlung der hessischen Fortschritts= (national- 
liberalen) Partei und Programm derselben: 
„Wir fordern vor Allem rückhaltloses und ehrliches Stehen zum neuen 
deutschen Neich und entschiedene Unterstützung des Reiches im Kampfe gegen 
alle ihm feindlichen Bestrebungen. Von diesem Gesichtspunkle aus fordern 
wir in dem jetzt entbrannten Kampfe gegen die Ultramontanen, die vordersten 
Gegner der deutschen Einheit, entschiedenes Austreten. Denn das Verhalten 
der Ultramontanen führt unter dem Deckmantel der Neligion zur Verfeindung 
der verschiedenen Confessionen, zur Schwächung des Reiches. Wir betrachten 
den Frieden zwischen allen religiösen Bekenntnissen als Vorbedingung einer 
segensreichen Entwicklung unseres großen Vaterlandes und erstreben statt reli- 
giösen Haders Gleichbercchtigung und Eintracht der verschiedenen Glaubens- 
genossen. Wir verlangen für unser Großherzogthum ehrliche Erfüllung der 
ihm gewordenen freiheitlichen Zusagen. Wir verlangen rege Förderung des 
wirthschaftlichen Wohles und Nevision der Steuergeseygebung. Insbesondere 
muß Selbständigkeit der Gemeinden und Bezirke, Vereinfachung der Staats- 
verwaltung und Erlaß eines zeitgemäßen Kirchen= und Schulgesetzes endlich 
und ohne Verzug erkämpft werden.“ Die Bürgschaft für eine aufrichtige Re- 
sorm findet der Aufruf in der Entfernung derjenigen Persönlichkeiten, „welche 
den Geist des gestürzten Systems zu lange vertraten, um in einem besseren 
wirken zu können.“ 
„ „ (Luxemburg.) Landtag: Annahme einer Antwortsadresse auf die 
Thronrede. 
Zu & 5 der Adresse, des Inhaltes, die Kammer sei erfreut über die 
Erklärung der Garantiemächte, da durch dieselbe die Autonomie Luxemburg's 
eine neue Bürgschaft erhalten habe, wird von Simons das Amendement ge- 
siellt: die Kammer sei erfreut über den Abschluß des Vertrages vom 11. Juni 
zwischen der deutschen Reichsregierung und Luxemburg (bezüglich des Betriebes 
der Eisenbahnen des Großherzogthums); sie habe stets die Ueberzeugung ge- 
hegt, daß unter den gegebenen Umständen diese Lösung der Angelegenheit als 
die geeignetste betrachtet werden müsse; die Besorgniß, welche in Betreff der 
Erhaltung der Autonomie unter der Bevölkerung bestanden, sei ganz ge- 
schwunden in Folge der einstimmigen Erklärung der Garantiemächte. Dieses 
Amendement wird jedoch nach langer Debatte mit 26 gegen 9 Stimmen ab- 
gelehnt. Von der „Luxemb. Ztg.“ wird als bemerkenswerther Vorgang her- 
vorgehoben, daß sich bei der Erörterung über den Simon schen Vorschlag der 
Abg. Knuff der deutschen Sprache bedient habe; solches sei in der Kammer 
seit 20 Jahren nicht vorgekommen; auch einer der übrigen Redner sei dem 
Beispiele gefolgt. 
„ —11. Nov. (Preußen.) Der Minister des Innern verhandelt und 
und einigt sich mit einer Anzahl von Vertrauensmännern aus dem 
Abg.-Hause, sämmtlich Mitglieder der früheren Commission des Hauses, 
über einige Modifikationen in der vom Herrenhause abgelehnten Kreis- 
ordnungsvorlage. Die so vereinbarte Vorlage soll dann im Herren- 
haus (mit Hülfe eines Pärsschubs) ohne alle und jede Modifikation 
durchgesetzt werden. 
12. „ (Preußen.) Wiedereröffnung des Landtags. Thronrede durch 
den Kriegsminister v. Roon: 
„Da die Hoffnung gescheitert ist, die Reform der Kreisverfassungen nach 
Wiederaufnahme der im Juni vertagten Session zum Abschluß zu dringen,
	        
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