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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
übereinstlimmend, daß der Entwurf sich denn doch wesentlich von dem Elaborate
der Deputation unterscheide, und was die Vertreibung des Großcapitals anbe-
lange, so möchten reiche Fremde lieber das Land verlassen, als daß die Armen
mit Steuern Überbürdet würden. Günther ist für eine Mannichfaltigkeit der
Steuern nach einem System, nicht aber nach verschiedenen, wie solche der Ent-
wurf aufstelle; er befürwortet insbesondere das System einer ergänzenden Ein-
kommensteuer, verbunden mit Grund= und Gewerbesteuer. Wenn die ländlichen
Abgeordneten heute der reinen Einkommensteuer zuneigten, so geschehe dieß
nicht aus der Ueberzeugung von der Vortrefflichkeit derselben, sondern weil
die jetzigen Steuerverhältnisse unerträglich seien. Bei der Schlußabstimmung
wird, nachdem schon sämmtliche von der Mehrheit sowohl als von der Min-
derheit und einzelnen Abgeordneten gestellte Anträge gefallen sind, auch die
Einführung der allgemeinen Einkommensteuer mit 33 gegen 32 verworfen,
während die Regierungsvorlage nur vier Stimmen erhält. Da somit gar
kein Resultat erzielt worden, so bleibt weiter nichts übrig, als das ganze Ma-
terial der ersten Kammer zu überweisen. Dort dürfte vielleicht ein vom Abg.
Penzig eingebrachter Vermittlungsantrag angenommen werden, da sich mit
demselben auch der Finanzminister einverstanden erklärt. Dieser Antrag lau-
tet: „An Stelle eines Theils der Gewerbe= und Personalsteuer, sowie zum
Ersatz eines Theils der bisherigen Grundsteuer, ist eine allgemeine Classen-
und Einkommensteuer einzuführen. Bis zu welcher Höhe die Gewerbe= und
Personalsteuer, sowie die Grundsteuer, zu deren Ausgleichung in sich eine neue
Abschätzung der Liegenschaften und Gebäude vorzunehmen ist, noch vorläufig
beibehalten werden soll, ist bei der erstmaligen Auflegung der Classen= und
Einkommensteuer genauer festzustellen. Zuschläge zur Grundsteuer werden nicht
erhoben.“ Treten beide Kammern diesem Antrag bei, so will die Regierung
dem nächsten Landtag eine Vorlage mit versuchsweiser Einkommensteuer machen.
19. Nov. (Hessen.) Ein den Schülern der betreffenden Anstalten sofort
mitgetheiltes Ministerialrescript verfügt,
die sofortige Auflösung der sog. Marianischen Congregationen und ver-
bietet mit Hinweisung auf die Schulgesetze unbedingt jede Theilnahme an
diesen Vereinen, sowie an Bruderschaften, Sodalitäten und Jünglingsvereinen,
unter Strafe sofortigen Ausschlusses aus der Anstalt. Den Direktoren der
Gymnasien, Realschulen u. s. w. wird die strengste Ueberwachung zur Pflicht
gemacht. Auch der Eintritt in derartige Vereine unter anderen Formen und
Namen ist verboten.
20.—23. Nov. (Preußen.) Abg.-Haus: Erste und zweite Berathung
der von der Regierung definitiv modifizirten und von den Vertrauens-
männern des Abg.-Hauses acceptirten Kreisordnungsvorlage. Dieselbe
wird schließlich, nach Ablehnung aller Amendements der feudal-conser-
vativen und der Fortschrittspartei, welche letztere den früheren Com-
promiß wieder herzustellen versucht, unverändert mit einer Mehrheit
von 195 Stimmen angenommen.
Die Debatte ist sehr lebhaft, lebhafter als man bei der Aussichtslosigkeit
aller Amendements erwarten konnte. Die Spaltung der feudal-conservativen
Partei und der Gegensatz ihrer beiden Hälften zu einander und wieder zu den
Freiconservativen tritt scharf hervor. Bei dem Paragraphen über die Bildung
der Amtsbezirke, der gegen die früheren Beschlüsse eine veränderte Fassung
erhalten hat, werden die verschiedenartigsten Interpretationen laut. Das Auf-
treten des Ministers Eulenburg ist in dieser Beziehung unsicher. In der
vertraulichen Besprechung hatte Eulenburg Forckenbeck die Erklärung abge-
geben, daß er die jetzt im Gesetz gestrichenen Minimalziffern in die Ausführungs-
instruktion hineinschreiben werde. Diese Erklärung ist öffentliches Geheimniß.