Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 231
sprechend findet und den Erlaß des Ministers vom 15. Juni 1872 billigt, geht
das Haus der Abgeordneten über den Antrag der Abgeordneten v. Mallinckrodt
und Genossen zur Tagesordnung über.
Unterrichtsminister Falk: Art. 4 der Verfassung („die öffentlichen
Aemter sind . für alle dazu Befähigten gleich zugänglich“) soll verletzt sein.
Der Bestimmung des Art. 4 gegenüber steht jedoch freies Bestätigungsrecht des
Staats gegenüber; der Art. 24 („der Staat stellt aus der Zahl der Be-
fähigten die Lehrer der öffentlichen Volksschulen an“) erkennt dieses Recht,
das Recht der Auswahl sogar aus den Befähigten theoretisch an. Dem
Grundsatze nach, ist der Art. 24, obwohl noch nicht vollständig ausgeführt,
bereits geltendes Recht, u örtlich zutreffend in allen denjenigen Fillen, in wel-
chen der Staat selbst den Lehrer zu bestellen hat, in Form des Bestätigungs-
rechtes in allen Uübrigen. Ob aber die Bestätigung ertheilt werden soll, das
liegt nach dem Gesetz in der gewissenhaften Prüfung der Staatsgewalt. Sie
hat die Gründe zu prüfen, aus welchen die Bestätigung zu versagen ist. Ge-
meiniglich wird sich die Prüfung lediglich auf den einzelnen Fall erstrecken;
aber wenn zahlreiche Vorgeschlagene in von ihnen gewählten Verhältnissen
stehen, die die Staatsregierung bei pflichtmäßiger Prüfung unter allen Um-
ständen für unvereinbar erachtet mit dem Lehramt, dann ist es doch wohl ihr
Recht, offen den Satz allgemein auszusprechen. Das Gegentheil würde ein
Verfahren sein, welches man vielleicht nicht ganz offen nennen könnte. Es ist
aber nicht bloß ihr Recht, sondern auch ihre Pflicht und zwar um der Be-
troffenen willen, damit sie sich nicht in der Form, die das unstatthaft macht,
dem Lehrberuf widmen, damit sie, wenn es angeht, die Beziehungen lösen,
die es unmöglich machen, sie anzustellen. Die meisten der betroffenen Personen
gehören sog. Congregationen an, die ein zeitliches Gelübde leisten, das nach
Ablauf einer gewissen Zeit erneuert werden muß. Der Betreffende braucht
dann eben nur das Gelübde nicht zu erneuern. Man hat darauf hingewiesen,
daß es sich hier in der Hauptsache um das schwache Geschlecht handle. Aller-
dings handelt es sich nicht um die sehr geringe Zahl der sog. Schulbrüder.
Was aber die Frauen anlangt, besteht, soweit ich habe ermitteln können, nicht
einke einzige gesetzliche Bestimmung, welche davon handelt, daß das Lehramt
Frauen zugänglich ist; alle Gesenye sprechen nur von Männern. Daß Leh-
rerinnen in so reichem Maße an den Schulen fungiren, das haben Gründe
der Zweckmäßigkeit hervorgerufen, das beruht auf Anordnungen der Verwal-
tung. Ich sollte nun meinen, daß ein ganzer Zweig des Schulwesens, der
nur auf Verwaltungsbestimmungen beruht, auch im Verwaltungswege geän-
dert werden könnte, ohne daß man eine Verfassungs= oder Gesetzesverletzung
vorwerfen darf. Man kann sagen: die Maßregel ist ungerecht, und kann aus-
führen, sie habe keinen Grund für sich; aber man kann nicht behaupten, sie
sei gegen Verfassung und Gesetz. Was nun die innern Gründe der Verfügung
betrifft, waren es nicht pädagogische Gründe im engeren Sinne, die den Aus-
schlag gaben. Es handelt sich um mittelbare Staatsdiener, und Staatsdienern
im Allgemeinen wird je nach ihrer Stellung die besondere Pflicht durch das
Gesetz, ich meine durch das Landrecht, auferlegt, den Vortheil, die Sicherheit,
das Wohlergehen des Staates zu fördern. Ich habe mich nun fragen müssen:
können Schulschwestern die ihnen durch dieses Gesetz gestellte Aufgabe lösen?
gewähren sie eine Bürgschaft dafür, daß sie die ihnen zur Erziehung Anver-
trauten zu solcher Freiheit, zu solcher Treue zum Vaterland, zu solchem Ge-
horsam gegen die Gesetze des Vaterlandes, zu solchem Bewußtsein der Ange-
hörigkeit, der Hingebung an das Vaterland erziehen werden, daß dereinst der
Schwerpunkt für ihre Anschauungen und Gesinnungen, der entscheidende Be-
stimmungsgrund für ihr Streben und Wirken innerhalb der Grenzen des
Vaterlandes liegt und nicht außerhalb? (Lebhaftes Bravo links.) Die
Staatsregierung hat, es ist ja noch kein Jahr ins Land gegangen, einen Kampf
hier geschlagen, der wahrlich kein leichter war. Sie hat zu erkennen gegeben.