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Vesterreich-Angarn.
b„Wenn aus dem Landtag in den Reichsrath gewählte Abgeordnete während
der Reichsrathssession ihr Mandat als Landtags= oder als Reichsraths-Abge-
ordnete niederlegen, oder in Folge dauernder Verhinderung als aus dem Ab-
geordnetenhause ausgetreten zu betrachten sind, kann der Kaiser die Vornahme
neuer Wahlen unmittelbar durch die landtagswahlberechtigten Gebiete, Städte
und Körperschaften nach Maßgabe des über Durchführung unmittelbarer
Wahlen in das Abgeordnetenhaus bestehenden Gesetzes anordnen.“
10. Febr. (Oesterreich.) Reichsrath, Abg.-Haus: Das Subcomité des
Verfassungsausschusses hat den Entwurf eines Ausgleichs mit Galizien
festgestellt. Die Polen lehnen jedoch die daran geknüpften Bedin-
gungen ab.
In dem Elaborat des Subcomité wird dem galizischen Landtag eine Reihe
von materiellen Zugeständnissen gemacht, durch welche dessen Autonomie sowohl
auf dem Gebiete der Verwaltung als der Gesetzgebung namhaft erhöht wird.
Das Begehren, die Landesregierung dem Landtage verantwortlich zu machen,
befindet sich unter den zugestandenen Punkten nicht. Sieht man indeß nur
die in den drei ersten Abschnitten des Ausgleichsentwurfes vorgeschlagenen
Erweiterungen der galizischen Autonomie vom praktischen Standpunkte an, so
erscheinen dieselben als ausreichend, um aus Galizien ein fast unabhängiges,
mit den Reichseinrichtungen nur lose verbundenes, selbständiges Gemeinwesen
zu machen. Nachdem die Polen schon vor einigen Jahren den alleinigen Ge-
brauch ihrer Landessprache in Schule und Amt durchgesetzt, soll ihnen der Un-
terricht nun vollständig, die Civil= und Gerichtsverwaltung in ihren wichtig-
sten, weil mit dem Volke in unmittelbarer Beziehung stehenden Nategorien
und die Civil= und Strafgesetzgebung eebenfalls beinahe in allen Materien
überantwortet werden, in denen dieselbe im täglichen Leben sich geltend macht;
dazu wird dem Kronlande eine besondere Vertretung im Ministerium, eine
besondere Abtheilung des obersten Justizhofes eingeräumt; das Land erhält
ein eigenes Budget, und seiner selbstthätigen Entwickelung wird damit ein
Spielraum geöffnet, wie ihn selbst ein ganz unabhängiger Staat nur selten
haben wird, da bei letzterem mancherlei Rücksichten und Umstände hemmend
eintreten, die bei einem nach außen hin in keiner Beziehung verantwortlichen
Provincialstaat schwerlich vorkommen können. Es ist leicht zu ermessen, welcher
Tendenz die Erweiterung der Autonomie Galiziens in erster Linie zu dienen
haben würde. Die Polen haben mehr als das ihnen Gebotene im Namen
ihrer Nationalität beansprucht, und die Pflege ihrer nationalen Interessen
wäre somit die wesentlichste Aufgabe, welche die administrative und die intel-
lektuelle Selbständigkeit Galiziens zu erfüllen hätte. Das Subcomité stellt
daher wohl mit Recht an die polnischen Abgeordneten die Frage: ob sie ge-
neigt seien, sich zu verpflichten, als Entgelt für jene Concession seinerzeit im
Reichsrathe für die direkten Wahlen zu stimmen. Dr. Zyblikiewicz holt hierlber
Clubbeschluß ein und erklärt auf Grund desselben: die Polen würden nun
und nimmer für direkte Wahlen stimmen. In Folge dessen bleibt jener Punkt
der Resolution, welcher verlangt, daß dem Lemberger Landtage das ausschlie-
ßende Recht eingeräumt werde, über die Modalität der Beschickung des Reichs-
raths aus Galizien zu beschließen, unerledigt. Die Frage der direkten Wahlen
ist mithin für und gegen die Polen offen. Ferner beantragt das Comité,
daß die Zugeständnisse nicht früher Reichsgesetz werden dürfen, als bis sie der
Lemberger Landtag in die Landesordnung inartikulirt hat. Dadurch wird
dieser genölhigt, zu erklären, ob er durch die Concessionen befriedigt sei oder
nicht. Die Polen erheben dagegen das Bedenken, daß hiezu im Landtage eine
2⅜-Mehrheit bei Anwesenheit von ¾ der Mitglieder nöthig und daß diese
unsicher sei, weil die Ruthenen die Sitzung verlassen und die polnischen Bauern
gegen die Inartikulirung stimmen könnten.