Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

Oesterreich-Ungarn. 269 
so muß die Regierung die Verantwortung dafür jenen Elementen zuschieben, 
die eben eine fortwährende Hetze in Scene setzen müssen, um bei der Bevölke- 
rung das Vertrauen zum Ministerium zu untergraben. Treu dem Wahl- 
spruch: „Der Zweck heiligt das Mittel“, werden dazu alle nur möglichen 
Verdächtigungen gebraucht, um als Oster= oder Pfingstgeschenk dem Publikum 
offerirt zu werden. Einmal ist es ein kleiner Verfassungsbruch oder ein ge- 
heimer Pact, dann eine Uneinigkeit im Schoße des Ministeriums, eine Minister- 
krisis. Zeigt sich nach kurzer Zeit die Unwahrheit solcher Gerüchte, so sagt 
man einfach: die Regierung wende alles an, um das abzuläugnen und zu 
vertuschen, was gegen ihren Willen in die Oeffentlichkeit gelangt ist. Wenn 
daher die Angst vor dem Verfassungsbruch die Gemüther beunruhigt hat, so 
kann ich den hohen Ausschuß versichern, daß dieser Verfassungsbruch von der 
Regierung so gut vertuscht worden ist, daß er im Schoße des Ministeriums 
nicht einmal empfangen, viel weniger geboren wurde."“ 
25. Mai. (Oesterreich: Böhmen.) Furchtbare Wassernoth, hauptsächlich 
auch in dem czechischen Theile des Landes. In Wien constituirt sich 
aus den Reihen der Verfassungspartei ein großes Hilfscomité. 
„ (Oesterreich.) Reichsrath, Abg.-Haus: Der Ausschuß beschließt 
auf den Antrag Rechbauer's mit 5 gegen 4 Stimmen, dem Hause 
die Ablehnung der von der Regierung eingebrachten Novelle zum Land- 
wehrgesetz zu beantragen. Die Regierung, um einen Druck auf das 
Abg.-Haus auszuüben, erklärt, bezüglich dieser Angelegenheit die Ca- 
binetsfrage stellen zu müssen. 
Die wesentlichste Bestimmung der Novelle geht dahin, die Stärke der cis- 
leithanischen Landwehr, Tirol und Vorarlberg mit ihrer selbstständigen Or- 
ganisation ungerechnet, auf 81 Bataillone Infanterie, je 1 oder 2 Schwadronen 
für jeden Ergänzungs-Bezirk eines Cavallerieregiments und eine Abtheilung 
berittener Schützen festzusetzen; sie verfügt sodann schon im Frieden die Auf- 
stellung von Bataillons= und von Cavallerie-Instruktions-Cadres. Der betref- 
fende Ausschuß erachtet nun die bisherige Organisation der Landwehr als voll- 
kommen zweckentsprechend und will demgemäß über die Regierungsvorlage um 
so mehr zur Tagesordnung übergehen, als dieselbe einen jährlichen Mehrauf- 
wand von stark. 1 Million Gulden bedingen würde. 
(Ungarn: Croatien.) Die Landtagswahlen sind im Ganzen zum 
Nachtheil der Regierung in Pesth ausgefallen. Das Verhältniß der 
Nationalen zu den Unionisten ist bei den 75 Gewählten ungefähr wie 
3 zu 2. 
Die Hoffnungen, welchen man sich hingab, durch den entschieden unionisti- 
schen Banus-Stellvertreter Vacanovich eine unionistische Landtagsmehrheit zu- 
sammenzubringen, haben sich nicht erfüllt; der Banus-Stellvertreter hatte den 
Vogen allzu straff gespannt, so daß schließlich Theile der eigenen Partei ab- 
fielen und ihn im Stiche ließen. Die Unionisten werden im Landtag etwa 25, 
die nationale Partei etwa 51 Stimmen besitzen. In Slavonien wurden die 
unionistischen Candidaten jetzt, wie auch bei den früheren Wahlen, sämmtlich 
durchgebracht, dafür erlitt die Regierung in den croatischen Comitaten, wie 
nicht minder in dem ehemaligen Bellovarer Comitat — ehemal. Regiments- 
bezirk — eine Niederlage nach der andern. In Agram selbst wurden die drei 
Candidaten der Unionspartei geschlagen und ist hierbei der Banus-Stellvertreter, 
der auch als Candidat ausgetreten war, durchgefallen. Indeß meint man in 
Pesth, daß es schließlich doch möglich sein werde, die Landtagsmehrheit in 
Agram unionistisch zu gestalten, da man sich der Hoffnung hingibt, daß die 
Virilstimmen besitzenden Magnaten sämmtlich mit der Regierung stimm
	        
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