Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreizehnter Jahrgang. 1872. (13)

274 Oesterreich-Ingarn. 
7. Aug. Der Zusammenkunft in Berlin zu Anfang September, an der 
auch der russische Kaiser Theil nehmen wird, gehen andere Artigkeiten 
voraus, indem der Kaiser zwei russischen Großfürsten österreichische 
Regimenter ertheilt. 
— (Oesterreich.) Die Regierung regt die Frage der Reform der 
katholisch-theologischen Fakultäten neuerdings an. 
Ueber die Geschichte dieser Frage in den letzten Jahren wird folgende Aus- 
kunft gegeben. In zwei Thronreden bereits wurde sie auf die Tagesordnung 
der ministeriellen Arbeit gesetzt. Hr. v. Stremayr ließ in seiner ersten Mi- 
nisterperiode einen Entwurf ausarbeiten, der von Döllinger geprüft und ge- 
billigt wurde; Minister Jirccek schnitt die weitere Fortführung der Angelegenheit 
mit den Worten ab: „Danken wir Gott, daß wir solche theologische Fakultäten 
haben!“ Jirecek ging, Stremayr kam zum zweiten Male und mit ihm der mit 
Döllingers Visum versehene Entwurf. Letzterer wurde im einzelnen umgear- 
beitet und liegt nun einer offiziösen Broschüre, die unter dem Titel: „Die 
Reform der katholisch = theologischen Fakultäten Oesterreichs, Wien 1872“ er- 
schienen ist, zu Grunde. Der Kern des Ganzen ruht in dem Satze: „Die 
theoretische Ausbildung der Candidaten der Theologie muß eine wissenschaft- 
lich gründliche sein und das ganze Gebiet der Theologie umfassen; diese Aus- 
bildung ist aber ein Theil des öffentlichen Unterrichts im Staatswesen, sie ist 
Sache der theologischen Fakultäten und bedingt daher zu ihrem Gedeihen die 
Aufhebung der bischöflichen Lehranstalten und der Klosterschulen." Der Be- 
such der Fakultät ist auf einen dreijährigen Cursus festgesetzt und erst nach 
Vollendung der theoretischen Studien ist der Eintritt in ein bischöfliches Se- 
minar zur praktischen Berufsbildung oder in ein Kloster gestattet. Da- 
mit ist die Frage, ob Universitäts-, ob Seminarbildung des 
Clerus, entschieden. In der strengen Wiederherstellung der theologischen 
Fakultäten als staatlicher Institute liegt ein ganz bedeutender Fortschritt, der 
noch gesteigert wird durch die Einführung der deutschen Sprache als Vortrags- 
sprache und durch die Ausschließlichkeit der Anstellung der Professoren durch 
den Staat. Was den Unterricht betrifft, wird die (Neu-) Errichtung von 
Lehrstlihlen für Geschichte der Philosophie, theologische Encyklopädie, Dogmen- 
geschichte und Symbolik, Patristik und Schulkunde beantragt. In Verbindung 
mit der Reform der theologischen Fakultäten ist auch die Umgestaltung der 
Rigorosenordnung für die Doctorate der Theologie beabsichtigt. Bisher waren 
die theologischen Doctorate im Wesentlichen bischöfliche Hauswürden, der Bi- 
schof examinirte und promovirte durch eigens ernannte Commissäre. Die 
Doctoren der Theologie in Oesterreich sind nicht durch die Fakultät proemo- 
virt und genießen den nicht gerade ehrenvollen Beinamen „Doctores bullati“. 
— (Oesterreich.) Die Regierung gibt den Landesbehörden Verhal- 
tungsnormen bezüglich der Niederlassung aus dem deutschen Reiche 
ausgewiesener Jesuiten. Der Erlaß beruft sich im Wesentlichen auf 
die bestehenden Gesetze betreffs der Gründung neuer Convente geist- 
licher Orden und Congregationen, behält jedoch dem Ministerium die 
Entscheidung vor, falls besondere Anstände obwalten sollten. Die 
Ertheilung der Niederlassungsbewilligung an nichtösterreichische Geist- 
liche wird dem Ermessen und Takte der Statthalter überlassen. 
12. „ Die Regierung verbietet den serbischen und anderen slavischen 
Städten die demonstrative Absendung von Deputationen nach Belgrad 
gelegentlich der Mündigerklärung des Fürsten Milan von Serbien.
	        
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